Insel meiner Sehnsucht Roman
nötig.«
»Wie lange …?«, begann Kassandra und verstummte, als sie den angstvollen Klang ihrer eigenen Stimme hörte.
»Meine Tante hat nicht erwähnt, wie lange man nach ihrer Meinung warten soll«, erwiderte Brianna und warf einen Blick auf Atreus. »Seien Sie guten Mutes, Prinzessin, er ist sehr stark.«
»Das muss er auch sein.« Kassandra neigte sich über das Bett und berührte die Wange ihres Bruders. »Hör mir zu, Atreus – wir lieben dich – wir brauchen dich. Wohin immer du gegangen bist, komm wieder zu uns. Such den Rückweg, und folge ihm. Noch ist deine Zeit nicht gekommen. Noch lange nicht. «
Royce umfasste ihre Schulter und half ihr, aus dem schwarzen Abgrund der Verzweiflung emporzutauchen, der sie zu verschlingen drohte. »Du wirst erwartet, Kassandra.«
Als sie den Palast verließ, schmerzte das helle Tageslicht in ihren Augen. Sie stieg auf das schöne weiße Pferd, das man für sie gesattelt hatte, und ritt mit Royce durch die Straßen. Automatisch winkte sie den Menschen zu, die sie begrüßten – teils schüchtern, teils freudig, aber auch vorsichtig oder unsicher. Dabei dachte sie unentwegt an Atreus.
Offenbar hegte Royce ähnliche Gedanken. Sobald sie sich am Stadtrand nach Osten wandten, zu den fruchtbaren Hügeln und Tälern, fragte er: »Was für eine Operation zieht Elena in Betracht?«
Zu ihrer eigenen Überraschung störte es Kassandra nicht, mit ihm darüber zu sprechen. Ganz im Gegenteil. Sie hoffte, ihren Kummer leichter zu ertragen, wenn sie sich alles von der Seele redete. »Diesen Eingriff nennt man Trepanation. Dabei wird eine Knochenplatte aus der Schädeldecke entfernt, um den Druck im Gehirn zu mindern.«
»Davon habe ich gehört, aber …«
Sie wandte sich zu ihm und sah seine grimmige Miene.
»Sind die englischen Ärzte damit vertraut?«
»Vielleicht ein paar – aber sie würden sich wohl kaum an solche Prozeduren heranwagen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand ein so großes Risiko eingeht.«
»Elena ist sehr geschickt und erfahren.«
»Heißt das – sie hat schon jemanden am Kopf operiert?«
»Mehrmals.«
»Unglaublich, so wie alles auf Akora.«
Kassandra winkte einigen Kindern zu, die entzückt grinsten und eifrig umherhüpften.«
»Nachdem du Akora jahrelang in deiner Fantasie gesehen hast, hoffe ich, die Wirklichkeit wird dich nicht enttäuschen.«
»Oh nein – ganz und gar nicht.«
Als sie sein warmherziges Lächeln sah, lachte sie verlegen. Mellinos ritt hinter ihnen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er sich versteifte. Missbilligend starrte er sie an und seufzte. Der traditionsbewusste Ratsherr glaubte wahrscheinlich, die Ehre, an ihrer Seite zu reiten, würde ihm gebühren – nicht dem aristokratischen Xenos . Aber durch Alex' Heirat mit Joanna gehörte Royce zur Familie. Und nicht einmal Mellinos konnte ihr den Geleitschutz eines Verwandten übel nehmen.
Die ersten Olivenhaine, die sie besuchten, lagen nur wenige Meilen außerhalb von Ilius. Kurz davor stieg die Straße an, und so sahen sie zunächst nur ein weißgelbes Blütenmeer, ehe die Bäume auftauchten. Dann ritten sie zwischen den Stämmen hindurch, die weit auseinander standen, so dass strahlendes Sonnenlicht den Hain erhellte.
»Hier siehst du einen der ältesten Olivenhaine von Akora, Royce«, erklärte Kassandra und betrachtete die Bäume, die sie zeit ihres Lebens gekannt hatte. An schönen Sommertagen hatte sie mit Alex unter den ausladenden Ästen Fangen gespielt, während Atreus zusammen mit dem Großvater, dem damaligen Vanax, im Gebet versunken war. Und da drüben, unter einem besonders großen, uralten Baum, hatte sie erst vor wenigen Jahren mit ihrer Mutter gesessen und über Zukunftsträume gesprochen. Wie oft war sie hierher gekommen – wie unerschütterlich hatte sie geglaubt, nichts auf Akora würde sich jemals ändern …
Interessiert schaute sich Royce um und bewunderte die üppige Blütenpracht, die knorrigen, gewundenen Stämme, die lanzenförmigen, lederartigen Blätter. An der Seite, die sie der Sonne zuwandten, schimmerten sie grün und darunter silbrig. »Ich habe in Griechenland und in der Provence Olivenhaine besichtigt. Aber nichts, was sich mit diesem hier vergleichen ließe.«
»Wie sehen sie dort aus?«, fragte Kassandra, die keine dieser Regionen kannte.
»Eher planlos gepflanzt. Einige Bäume blühen, andere nicht, und die Stämme sind nicht so dick.«
Nun kamen ihnen Bauern entgegen, um sie zu begrüßen, und
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