Insel meiner Traeume
er nicht in England zur Welt gekommen war. Strahlend blau bildeten seine Augen einen faszinierenden Gegensatz zur gebräunten Haut, zum nachtschwarzen Haar und glichen dem Zenith eines wolkenlosen Himmels.
Beklemmende Sekunden lang kannte Joanna nur einen einzigen Gedanken - fast nackt stand sie in der Kabine ei-nes Mannes, der scheinbar den Werken Homers entstiegen war - und trotzdem so real wirkte. Plötzlich gewann sie den Eindruck, ihr gewohnter, geregelter Alltag auf Hawkforte würde zu einem anderen Leben gehören - so fern erschien er ihr in diesem Moment. Und doch - jener Existenz verdankte sie die Tugenden des Muts und der Entschlossenheit, die sie jetzt retteten.
Das Kinn erhoben, ignorierte sie die Hitze in ihren Wangen und erwiderte in ruhigem, würdevollem Ton: »Viel besser als letzte Nacht. Deshalb stehe ich tief in Ihrer Schuld. Ich muss Sie um Verzeihung bitten, weil ich Ihnen zur Last falle. Hoffentlich verstehen Sie, dass ich unter den gegebenen Umständen keine andere Möglichkeit sah.«
Inständig hoffte sie, er würde die Möglichkeiten, über die er verfügte, nicht nutzen. Wenn sie auch nicht in der Arrestzelle seines Schiffs schmachten wollte - aber trotz allem wäre das besser, als am nächstbesten Strand zu landen.
Darcourt atmete tief durch. Mit unerwünschtem Interesse beobachtete sie, wie sich seine imposante Brust hob und senkte. Von diesem Anblick verwirrt, überhörte sie beinahe seine Antwort.
»Unglücklicherweise haben Sie sich impulsiv, unklug und riskant verhalten, Lady Joanna. Ihre Anwesenheit beschwört ernsthafte Schwierigkeiten herauf.«
»Das bedauere ich«, versicherte sie. Es überraschte sie, dass er nicht zornig war, aber das ließ sie sich nicht anmerken. »Natürlich werde ich mein Bestes tun, um die Probleme zu lösen, die ich verursacht habe.«
Skeptisch schaute er sie an. Ohne zu erklären, wie er ihr Versprechen beurteilte, zeigte er auf den Tisch. »Das Ragout ist noch heiß. Essen Sie’s, bevor es kalt wird.«
Joanna betrachtete die Schüssel. Dann wandte sie sich wieder zu Darcourt. Er hatte ihr eine Mahlzeit gebracht.
Zweifellos war das ein gutes Zeichen. Er ließ sie nicht verhungern, hatte ihre Wunde verarztet und ihr sogar einen erholsamen Schlaf in seiner Kajüte vergönnt. Nur der harte Glanz seiner Augen und seine innere Anspannung, die sie deutlich spürte, warnten sie vor verfrühter Erleichterung.
Zögernd entgegnete sie: »Vielen Dank.«
Ihr Magen reagierte knurrend auf das köstliche Aroma. Aber in ihrer unzulänglichen Kleidung konnte sie sich nicht dazu überwinden, am Tisch Platz zu nehmen und zu essen, zumindest nicht in Darcourts Gegenwart.
Nach einer Weile schien er den Grund ihres Zauderns zu erkennen. Ausdruckslos verkündete er: »Auf Akora kennt man keine Scheu vor nackten Körpern. Wahrscheinlich wegen unseres warmen Klimas und unserer kulturellen Tradition.«
Sie starrte ihn entgeistert an - einerseits wegen seiner äußeren Erscheinung, andererseits wegen ihrer eigenen und möglicherweise auch, weil er sie immer wieder aus der Fassung brachte. »Ich bin nicht nackt.« Natürlich nicht. Außer dem Badetuch trug sie auch noch eine tiefe Röte zur Schau.
»Gewiss nicht.«
Den Blick auf einen Punkt an der Wand gerichtet, schräg hinter Darcourts rechter Schläfe, fragte sie: »Wo sind meine Kleider?«
»Meinen Sie die Lumpen, die Sie bei Ihrer Ankunft im Laderaum trugen? Die habe ich verschwinden lassen«, fügte er hinzu und zeigte zum Fußende des Betts. »In meiner Truhe finden Sie mehrere Tuniken.«
»Die passen mir nicht.«
»Sonst gibt es nichts.« Er wühlte in der Kiste, bis er fand, was er suchte. Dann hielt er ein Gewand hoch, ähnlich wie die Tunika, in der Joanna erwacht war. »Wollen Sie das hier probieren?«
»Nein, danke.« Hastig kehrte sie in die Badekammer zurück, legte das Baumwolltuch beiseite, ergriff die Tunika, die sie auf den Boden gelegt hatte, und streifte sie über ihren Kopf. Der Saum reichte bis zu ihren Waden, der Ausschnitt glitt über eine Schulter. Aber als sie ihn am Hals zusammenraffte, fühlte sie sich einigermaßen bekleidet.
Wieder in der Kabine, sah sie den Gastgeber durch ein Bullauge spähen. Er gönnte ihr nur einen kurzen Blick, bevor er sich wieder auf den Horizont konzentrierte.
»Wie weit sind wir von Akora entfernt?«, fragte sie seinen Rücken.
»Zehn Tage.« Sein Kopf wies in die Richtung des Tisches. »Setzen Sie sich, essen Sie.«
Diesmal gehorchte sie. Vorsichtig
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