Insel meiner Traeume
Hof präsentieren. Doch sie würden ihr nichts zuleide tun und sie schließlich in ihre Heimat bringen. Alles in allem wäre das für diese mutwillige, tollkühne junge Dame ein heilsames Erlebnis... Gewiss, ein verlockender Gedanke - aber Alex würde sich bedauerlicherweise ehrlos verhalten, wenn er sie einem Feind ihrer Nation auslieferte, ganz egal wie gut man sie behandeln würde.
Mit gerunzelter Stirn beobachtete er die französischen Schiffe noch eine Weile. Dann wandte er sich ab. »Wir ignorieren sie.«
Wortlos nickte der Akoraner, ging wieder an seine Arbeit, und Alex blieb mit seinem ursprünglichen Problem allein zurück. Was sollte er mit Lady Joanna machen? In ein paar Tagen würden sie an der spanischen Küste entlangsegeln. Dort könnte er die junge Dame den Briten überantworten - vorausgesetzt, er würde Wellingtons Küstenstellungen aufspüren. Die wechselten ständig.
Außerdem durfte er die Lady nicht den Gefahren eines Kriegsgebiets aussetzen. Nein, das wäre zu grausam, sogar für eine Frau, die eine erstaunliche Charakterstärke und Willenskraft besaß.
Und er musste auch bedenken, dass sie als tapfere Schwester ihren Bruder zu retten versuchte. Was Liebe und Loyalität innerhalb einer Familie betraf, hatte auch Alex einige Erfahrungen gesammelt.
Eine Zeit lang saß er noch an Deck, betrachtete das Meer und dachte nach. Die subtilen Veränderungen der Wasserfarbe und die Nuancen des Lichts am östlichen Horizont teilten ihm ebenso viel mit wie die verschiedenen Instrumente an Bord. Präzise konnte er die geringfügigen Abtriften der tiefen Strömungen berechnen. In all den Jahrhunderten der akoranischen Seefahrt waren sie mehr oder weniger den gleichen Richtungen gefolgt, von sachkundigen Kapitänen erforscht. Genauso vermochte er mittels des Lichtspiels am Ruder abzuschätzen, wie weit die Nestor vom Land entfernt war. Der Wind in Alex’ Haar und auf seinem Gesicht verriet ihm die Fahrgeschwindigkeit und die Temperatur. Am wichtigsten war der Geruch. Weit genug von der Küste entfernt stieg nur die Salzluft des Meeres in seine Nase. Jetzt nahm er einen günstigen Wind und gutes Wetter wahr - einen Duft, auf den sich ein Seemann verlassen konnte. Es gab auch andere Aromen, schwerer und schärfer, die vor Gefahren warnten. Zwei Mal, auf besonders langen Exkursionen, hatte er Eis gerochen. Das wollte er nie wieder erleben.
Und so saß er da, alle körperlichen Sinne auf das Meer eingestimmt, und überlegte, was mit der Lady geschehen sollte.
Er könnte sie nach England zurückbringen, wo sie hingehörte. Dazu wäre er bereit gewesen, wenn sich keine Kanonen an Bord befunden hätten.
In England gab es Leute, die nichts von diesen Geschützen wussten. Würden sie davon erfahren, wären sie wohl kaum erfreut.
Falls er nach England zurückkehrte, mit den Kanonen im Laderaum, würde er seine Pflicht verletzen. Alles - nur das nicht.
Also würde sich Lady Joanna Hawkfortes Wunsch erfüllen - sie durfte nach Akora reisen. Und nun lautete die Frage, was ihr dort widerfahren mochte.
Während Alex seine Möglichkeiten erwog, bebten seine Nasenflügel. Grinsend schaute er zum Bug. Einige Männer hatten Flammen unter einem eisernen Rost entfacht. Darauf stand ein Topf, in dem ein Fischragout schmorte. Nicht nur Fische wurden gegart, sondern auch Marinos , das akoranische Nationalgericht. Dafür begeisterten sich alle Akoraner, und jede Generation gab die zahlreichen verschiedenen Rezepte liebevoll an die nächste weiter.
Nachdem Alex drei Monate lang die englische Küche ertragen hatte, würde er beinahe einen Mord begehen, um endlich wieder den Geschmack von Marinos zu genießen. Glücklicherweise musste er nur zum Bug hinübergehen, wo sich eine erwartungsvolle Schar versammelte. Als er eine gefüllte Schüssel und ein Stück Fladenbrot entgegennahm, erinnerte er sich abrupt an seinen blinden Passagier.
Sicher war die Lady hungrig.
Andererseits - sie hatte Biskuits und Dörrfleisch in ihren Beutel gepackt.
Nur kurzfristig gestattete er sich einen angenehmen, rachsüchtigen Gedanken. Sollte sie sich doch mit diesem kargen Proviant begnügen... Dann ging er seufzend zu seiner Kajüte hinab.
4
Himmlische Kühle... Im Bann der Erinnerung an glühende Hitze holte Joanna tief Atem und rieb ihre Wange an kaltem, glattem...
Leinen? Verwirrt runzelte sie die Stirn, weil sie ein Kissen unter ihrem Kopf spürte. Aber warum wunderte sie sich über eine so alltägliche Erkenntnis? Lag sie denn nicht
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