Insel meiner Traeume
Armen, und die Leidenschaft verscheuchte die letzte schwache Regung ihrer Vernunft. Im hellen Tageslicht, nur von einem Zelt geschützt, inmitten akoranischer Soldaten küssten sie sich.
Doch das kümmerte Joanna ebenso wenig wie die Vorsehung, die sie beide zu Feinden bestimmt hatte. Dies ist mein und sein Leben, sagte sie sich. Und was wir aus dem Schicksal machen, liegt bei uns... So kostbar ist das irdische Dasein. Auf eben noch ruhiger See kann es von einem plötzlichen Sturm vernichtet werden. Oder von einem Sommergewitter, so wie es meinen Eltern zum Verhängnis wurde...
Die Vergangenheit war Erinnerung, die Zukunft neue Hoffnung. Und jetzt zählte nur der Augenblick.
Diesen Mann, den sie mit beiden Armen umschlang, begehrte sie - mit ihrem Körper und ihrem Herzen. Hemmungslos begrüßte sie die überwältigende Hitze, die zwischen ihnen aufflammte. Und als sie bebend am Rand eines Abgrunds schwankte, kurz vor dem Sprung ins Unbekannte, schlug die Erinnerung unbarmherzig zu.
Stein, für einen Moment kalt und feucht.
Oh Gott, wie konnte sie nur? Wie konnte sie auch nur sekundenlang vergessen, in welcher Gefahr ihr Bruder schwebte, und mit seinem Feind poussieren? Ja, genau das tat sie - völlig enthemmt poussierte sie mit dem Mann, der Royce, ihr selbst und allen Briten grollte. War sie wirklich so tief gesunken und die Sklavin würdeloser Leidenschaft geworden?
»Nein, ich darf nicht...« Qualvoll rangen sich die Worte aus ihrer Kehle, und sie versuchte, sich von dem Mann zu befreien, der ihr Blut trotz allem immer noch in Wallung brachte.
»Wir dürfen nicht...«, begann er fast gleichzeitig. Abrupt ließ er sie los, trat zurück und starrte sie in ungläubigem Staunen an, das er sofort hinter seiner üblichen ausdruckslosen Maske verbarg.
Unfassbar - es war ihm kaum gelungen, die intimen Zärtlichkeiten zu beenden, und jetzt wollte er schon wieder nach Joanna greifen. Welcher Wahnsinn benebelte sein Gehirn? Nie zuvor, nicht einmal als unerfahrener junger Bursche, hatte er sich dermaßen von einer Frau betören lassen. Zu allem Überfluss war er auch noch auf dem Exerzierplatz in Versuchung geführt worden, wo ihm sein Pflichtbewusstsein eiserne Disziplin abverlangen müsste. Und das in diesen schweren Zeiten, während so viel aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte und sogar die loyalsten Männer an den Fähigkeiten eines triebhaften Kommandanten zweifeln mochten...
Beinahe hätte er sich vollends vergessen. Mit einem gemurmelten Fluch kehrte er Joanna den Rücken und riss die Zeltklappe auf. Ein knapper, schroffer Befehl jagte mehrere Männer davon.
Wenig später stieg er auf den Streitwagen, den man ihm gebracht hatte, ergriff die Zügel der beiden angeschirrten Grauschimmel und rief Joanna zu: »Komm!«
Als sie sich aus dem schützenden Zelt wagte, spürte sie verschämt die diskreten, aber neugierigen Blicke der Krieger und hoffte, ihre Wangen würden nicht so feuerrot glühen, wie sie sich anfühlten. Hastig kletterte sie auf den Wagen, ohne Alex’ hilfreiche Hand zu beachten, und hielt sich an der Querstange fest. Ein weiser Entschluss, denn im nächsten Augenblick sprengten die Pferde los, und das leichte zweirädrige, wendige Gefährt, für blitzartige Manöver auf den Schlachtfeldern bestimmt, schoss nach vorn, schien sich fast vom Erdboden zu heben.
Atemlos versuchte Joanna, die außergewöhnliche Situation zu bewältigen. Da stand sie auf einem Streitwagen -einem Streitwagen! - und raste vom Exerzierplatz des akoranischen Heeres zum königlichen Palast. Sie, Joanna
Hawkforte, die ein - zumindest nach ihrer Ansicht - ganz normales Leben geführt hatte... Daheim waren ihre Tage von einer simplen, aber beglückenden Ordnung geprägt gewesen, wenigstens vor Royces Verschwinden. Zufrieden hatte sie das Landgut und den Haushalt verwaltet, tief verwurzelt in einer Routine, der Legionen ihrer Vorfahrinnen gefolgt waren.
Und jetzt?
Unsicher berührte sie ihre Lippen und spürte immer noch das Prickeln jenes verlockenden Kusses. Mit ihrer anderen Hand umklammerte sie die hölzerne Stange noch fester. Sie stand hinter Alex. Alexandros. Vielleicht wäre es besser, wenn sie ihn in ihren Gedanken so nannte. Alexandros, der Prinz von Akora. Kraftvoll vibrierten die Muskeln seiner nackten Oberarme, während er das Gespann in rasantem Tempo die Straße entlanglenkte, und seine Haut glänzte in der Sonne.
Warme Haut. Sogar heiß. Dieses Gefühl immer noch unter ihren Fingern, sein Geschmack immer
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