Insel meiner Traeume
Leben und Treiben. Geschäftig eilten die Menschen umher, mehrere Wagen fuhren dahin und dorthin. Hinter der Stadt reiften goldene Felder im Sonnenschein.
Wie ein Paradies. Wo war die Schlange?
Das Wasser hörte auf zu rauschen, und Joanna wandte sich zur Tür der Badekammer. Rasch schaute sie wieder weg. Minuten verstrichen.
Um Kräfte zu sammeln, schloss sie die Augen. Plötzlich sah sie eine grüne Schlange, die sich über die Gartenmauer neben dem alten Turm von Hawkforte wand, zweifellos auf der Suche nach Vogeleiern oder anderen Delikatessen. Kein einziges Mal hielt der geschmeidige dünne Leib inne, unentwegt flackerte die gierige Zunge. Wie oft hatte Joanna an warmen Sommertagen auf der Mauer gelegen und schläfrig solche kleinen dramatischen Momente beobachtet, die Vorboten einer Tragödie?
»Joanna?«
Verstört hob sie die Lider. Alex schaute sie besorgt an, und sie holte tief Luft, um das beklemmende Gefühl in ihrer Brust zu lindern. Dann zwang sie sich zu lächeln. »Ich habe nur nachgedacht.«
Feuchte Locken umrahmten Alex’ Gesicht und betonten die klassische Schönheit seiner Züge. Er trug eine schlichte Tunika. In der Taille gegürtet, reichte sie bis zur Mitte seiner Oberschenkel. Seufzend legte er ein Schwert in einer bronzenen Scheide auf eine Truhe. »Einerseits wünschte ich, du würdest das nicht tun...«
»Was?«
»Denken«, erwiderte er und lächelte wehmütig. Ehe der Zorn, den er in Joannas Augen aufflammen sah, ihre Lippen erreichte, fügte er rasch hinzu: »Beachte doch, was ich sagte - einerseits. Und andererseits bin ich klug genug, den Wunsch eines Narren zu erkennen.«
»Du bist kein Narr«, murmelte sie heiser, im Konflikt verschiedener Emotionen: Empörung, Scham, Freude und die körperliche Begierde, die noch immer nicht verebbte...
Als er durch sein schimmerndes Haar strich, verlor sie beinahe die Fassung. »In letzter Zeit komme ich mir so vor«, gestand er. »Doch das ist unwichtig. Hast du Hunger?«
Allein schon der Gedanke an eine Mahlzeit drehte ihr den Magen um. »Nur zu deiner Information - du wolltest mir erzählen, warum das schwierige Zeiten für Akora sind.«
Sein durchdringender Blick ließ sie erschauern, als hätte er sie berührt. »Tatsächlich?«
»Oder vielleicht hattest du das nicht vor. Wenn du mich im Ungewissen lässt, muss ich meine eigenen Schlüsse ziehen.«
Alex schwieg. Um mich herauszufordern, dachte sie. Also gut, wenn er ihr unbedingt den Fehdehandschuh hinwerfen wollte, würde sie ihn ohne Zaudern aufheben. Kassandra hatte ihr zwar nicht erzählt, wie die Xenos in diesem Königreich aufgenommen wurden, aber das Verfahren anschaulich demonstriert. Wahrscheinlich war Alex ebenso wie seine Schwester in einen Gewissenskonflikt geraten.
»Als Kassandra mir von ihrer Vision erzählte, erwähnte sie, Akora würde von innen her geschwächt - diesmal nicht von Naturgewalten, sondern durch menschliche Aktivitäten.«
Erwartungsvoll schaute Joanna ihn an. Aber sein Gesicht blieb unergründlich. Trotzdem ließ er sie keine Sekunde lang aus den Augen.
Joanna wies zum Fenster. »Hier sieht alles so friedlich aus, während in der Welt da draußen das Chaos herrscht, so wie seit Jahrhunderten. Kriege, Hungersnöte, Seuchen... Und jetzt kommt noch etwas dazu.« Blicklos starrte sie auf Ilius hinab, und vor ihrem geistigen Auge zeigte sich ein anderes Bild. »In ganz England schießen Fabriken aus dem Boden. Immer wieder wird etwas Neues erfunden. Und anscheinend gibt es nichts, was den Fortschritt aufhalten könnte.«
»Gar nichts wird ihn aufhalten«, erwiderte Alex tonlos. »Hast du die Namen Samuel Slater oder William Cockerill schon einmal gehört?«
Joanna überlegte kurz. »Ja - Cockerill. Vor ein paar Jahren beschwor er einen Skandal herauf, weil er nach Frankreich reiste - mit Plänen für Maschinen, die es zuvor nur in England gegeben hatte. Darüber hat Royce mit mir gesprochen.«
»In ähnlicher Absicht segelte Slater nach Amerika. Solche Männer beweisen, wie unmöglich es ist, nützliches Wissen hinter Landesgrenzen zu verstecken. Und diese Lektion muss Akora lernen - möglichst schnell. Früher genügten uns starke Verteidigungsbastionen, die Entwicklung erstklassiger Waffen und hervorragend ausgebildete Soldaten. Damit werden wir bald nicht mehr auskommen. Eine Dampfmaschine kann genauso viel Macht ausüben wie eine Kanone. Wenn wir auf dem alten Stand der Dinge verharren, ist es nurmehr eine Frage der Zeit, bis uns die Welle des
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