Insel meiner Traeume
pechschwarzen Dunkel allein gewesen wäre.
Hinter dem schmalen Eingang lag ein Raum, dessen Dimensionen im Schatten verschwanden. Die Luft roch nicht salzig wie das Meer, aber trotzdem vertraut, denn sie erin-nerte Joanna an die Thermalquellen von Bath, das sie vor vier Jahren besucht hatte. In eisernen Halterungen an den Wänden steckten Fackeln, und Alex entzündete eine nach der anderen.
Während sich die Höhle mit Licht füllte, hielt Joanna den Atem an. Sie stand in einer Halle, so weitläufig wie eine Kathedrale, mit einem hohen Deckengewölbe, nicht von Menschenhand, sondern von der Natur geschaffen. Hoch über ihrem Kopf funkelten lange Tropfsteine. Weiße, rosafarbene und grüne Kristalle hingen wie fantastische Lüster herab. Aus dem Boden wuchsen ähnliche Kegel und schienen einen Gang zu bilden, der zu einem Felspodest am anderen Ende des Raums führte.
Langsam, mit zitternden Beinen ging Joanna auf den Felsen zu. Ein Kristall, so groß, dass sie ihre Hände nicht darum legen könnte, erhob sich aus dem Stein. Von den Fackeln beleuchtet, erglühte er in tiefem, pulsierendem Rot, als wäre das Herz der Erde darin gefangen.
»Was ist das?« Instinktiv flüsterte sie. An einem solchen Ort hielt sie es für ein Sakrileg, laut zu sprechen.
Alex stellte die Laterne, die er mitgenommen hatte, auf den Felsblock. Auch er senkte seine Stimme. »Ein Rubin.«
Verwundert starrte sie ihn an. »Ein Rubin? Unmöglich. Wäre es ein Rubin, wäre er...«
»... der größte auf der Welt? Ja, vermutlich ist er das. Noch mehr Rubine, allerdings kleinere, wurden in dieser Höhle und in anderen gefunden. Meistens entdecken wir Diamanten.« Als er sich zu ihr wandte, lachte er beinahe. »Überrascht? Was dachtest du denn, wie wir unsere Expeditionen in die Außenwelt und unseren Lebensstil auf Akora bezahlen?«
»Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Natürlich hätte ich mir überlegen müssen...« Sie verstummte bestürzt, weil sie es versäumt hatte, sich mit einem so nahe liegenden Thema zu befassen. Plötzlich erschrak sie. Was sie soeben erfahren hatte, führte ihr die Gefahr eventueller Konsequenzen vor Augen. Akora war nicht nur ein strategisch günstig gelegenes Inselreich, das den Zugang zum Mittelmeer kontrollierte, sondern ein Land voller kostbarer Schätze. Wie viel mochten manche Menschen wagen, um es zu erobern? Würden solche Informationen gewisse Ohren in England erreichen, könnten sie die Invasion auslösen, die Alex verhindern wollte.
Warum hatte er sie eingeweiht? Vertraute er ihr so sehr? Das wünschte sie sich inbrünstig. Und dann drängte sich eine weniger erfreuliche Alternative auf. Würde er ihr niemals erlauben, die Insel zu verlassen...
Lady, Sie werden sehr lange hier bleiben.
Nein, sie weigerte sich, daran zu denken. Was immer Kassandra gesehen hatte - ihre Visionen waren nur Varianten einer möglichen Zukunft. Nichts ist in Stein gemeißelt.
Nur dass sie Royce finden musste.
»Auf diesen Rubin konzentriert sich meine Schwester«, erklärte Alex. Von der Kapuze des dunkelblauen Umhangs umrahmt, wirkte Joannas Gesicht bleich und ernst. Vor ihren Wangen hingen ein paar honigblonde Strähnen. So weich und verlockend sahen ihre Lippen aus, und er entsann sich, wie sie schmeckten... Hastig verbannte er die Erinnerung, die ihn an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung treiben würde.
Warum hatte er ihr von den Diamanten erzählt? Nach allem, was er über Kassandras Weissagungen wusste, würde der Rubin vielleicht auch Joannas Talent unterstützen, was die Enthüllung des Geheimnisses rechtfertigte. Aber die Diamanten? Die Prahlerei eines albernen Jungen.
In der riesigen Höhle klang ihre Stimme geisterhaft. »Was ist das für ein Ort?«
»Vor langer Zeit wurde er als Tempel benutzt. Die meisten Menschen, die den Vulkanausbruch überlebten, konnten sich nur retten, weil sie hierher flüchteten.«
»Werden immer noch Zeremonien an diesem Ort veranstaltet?«
»Normalerweise nicht. Aber wenn die Akoraner einen neuen Vanax wählen, wird er zwischen den Tropfsteinen geweiht.«
Auf ihrer Zunge brannte ein Dutzend Fragen. Doch sie stellte keine einzige, denn sie fürchtete die Antwortende ihr womöglich neue Angst einjagen würden. Es war wohl besser, nur an die Anforderungen des Augenblicks zu denken.
Skeptisch betrachtete sie den Rubin. Wie sollte sie seine Kraft nutzen? Er war so groß, so schön, aus Erde und Feuer geboren. Dass er an der Stelle seiner Schöpfung geblieben war,
Weitere Kostenlose Bücher