Insel meiner Traeume
wirkte er imposant. Nirgends sah sie die erwarteten Insignien der Macht, keine üppig zur Schau gestellten Symbole, die auf militärische Stärke oder Reichtum hingewiesen hätten, um Ehrfurcht und Unterwürfigkeit zu fordern. Stattdessen wirkte der Saal einladend, sogar idyllisch.
Der Mond war noch höher emporgestiegen und beleuchtete einen sprudelnden Brunnen unter der bemalten Decke. Aber es waren die Fresken, die Joannas Aufmerksamkeit erregten, und sie ging darauf zu. Anscheinend stellten sie rituelle Szenen dar, die auf Feldern stattfanden. Auf manchen Wandmalereien zeigte sich Ilius im Hintergrund. Wenn Joanna auch nicht erkannte, welche Zeremonien dargestellt wurden - die Bilder erinnerten sie an alte ländliche Sitten, die man auf Hawkforte aufrechterhielt. Bei der ersten Saat des Jahres murmelten die Leute immer noch Gebete, und aus den letzten Getreidehalmen bastelten sie Puppen, die sie hoch oben in die Bäume hängten. Daran fand sie nichts auszusetzen, und sie würde diese Traditionen sogar vermissen.
Auf den akoranischen Fresken gab es viel mehr zu entdecken. Würdevolle Männer, offenbar Priester, schienen die Menschen zum Gebet aufzufordern. Zu Joannas Verblüffung erfüllten Priesterinnen die gleiche Aufgabe. Nie zuvor war ihr eine Frau begegnet, die eine religiöse Zeremonie geleitet hätte. Wie seltsam, solche Bilder auf Akora zu finden, wo »Krieger herrschen und Frauen dienen«.
Immer noch verwirrt, trat sie hinter einen der vielen mit geschnitzten Ranken verzierten Stützpfeiler, um einen Teil der Fresken genauer zu betrachten. Plötzlich störten die Stimmen zweier Männer ihre Konzentration. Der eine schien dem anderen gebieterisch über den Mund zu fahren.
»Noch länger können wir nicht warten. Mit jedem Tag wächst die Macht der Atreiden, und bald werden sie alle vernichten, die es wagen, sich gegen sie zu stellen.«
Der andere Mann sprach so leise, dass Joanna die Worte nicht verstand. Aber sie klangen wie Einwände, die der erste unwirsch zurückwies.
»Bist du wirklich so blind? Du weißt, was der hochwohlgeborene Alexandros im Laderaum seines Schiffs hierher befördert hat. Bildest du dir ein, diese Kanonen sollen uns nur vor den Xenos schützen? Glaubst du das von einem Mann, der selber ein halber Xenos ist?«
Als Alex erwähnt wurde, presste sich Joanna an die Säule, um unentdeckt zu bleiben. Dann spähte sie an dem abgerundeten gemeißelten Stein vorbei. In den Schatten, die die Säulen im silbernen Mondschein warfen, sah sie die beiden Männer. Der größere wirkte älter, das Haar von grauen Fäden durchzogen, die Stirn voller tief eingegrabener Falten.
»Nein, das heißt - schwer zu sagen, aber...«
Entschieden schüttelte der jüngere Mann den Kopf. Über einer Hakennase glitzerten große Augen. Sein schmaler, verkrampfter Körper erweckte den Eindruck, er würde zu einem gewaltigen Sprung ansetzen. »Ein Aber gibt es nicht. Wir stehen an einem Scheideweg. Wenn wir jetzt nicht die Initiative ergreifen, werden wir alles verlieren, was wir lieben.«
»Ja, Deilos, ich teile deine Bedenken«, erwiderte der Altere in müdem Ton. »Trotzdem würden uns überstürzte Aktivitäten nichts nützen. Deshalb rate ich dir zur Vorsicht und...«
» Vorsicht! «, unterbrach ihn der Jüngere, ohne seine Verachtung zu verhehlen. Dann riss er sich merklich zusammen. »Verzeih mir, Troizus, dieses Problem erhitzt mein Blut, und es fällt mir schwer, das Zaudern anderer zu begreifen. Wie auch immer, ich respektiere deine Ansichten.«
Wohl kaum, vermutete Joanna. Schlichter, gesunder Menschenverstand verriet ihr, dass Deilos’ Beteuerung nur eine Floskel war, der sogar der Anschein einer gewissen Aufrichtigkeit fehlte. Im Charakter dieses Mannes mischten sich Arroganz und wilde Ungeduld.
Eine Zeit lang diskutierten sie noch, aber mit gedämpften Stimmen, und Joanna hörte nichts mehr. Sie beobachtete die beiden, bis sie den Saal durch die weit geöffnete Doppeltür verließen und im Hof getrennte Wege gingen. Erst jetzt überdachte sie, was sie erfahren hatte: Deilos und Troizus zählten zu den drei Ratsherren, die sich laut Alex gegen den Plan des Vanax sträubten, Reformen auf Akora einzuleiten - der eine zögernd, der andere zu sofortigen Aktionen entschlossen. Wer würde die Oberhand gewinnen? Wahrscheinlich der Jüngere, denn er schien den stärkeren Willen zu besitzen. Und sie nahm an, er würde sich in seinem Hochmut vom Widerstreben des älteren Mannes nicht zurückhalten
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