Insel meiner Traeume
scheint meine Dynastie zu schrumpfen.« Vergeblich bemühte sie sich um ein Lächeln. »In Amerika leben ein paar entfernte Verwandte, die sind vor Jahrzehnten ausgewandert.«
Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, seufzte er erleichtert und umfasste ihren Hinterkopf. »Rechtzeitig genug, um sich den Rebellen anzuschließen?«
»Oh ja. Sie denken das Allerschlimmste von England und glauben, wir würden einen Plan schmieden, um die Kolonie zurückzuerobern. Doch das spielt keine Rolle, wir gehören immer noch zur selben Familie, obwohl ein riesiges Meer zwischen uns liegt.«
»Das verstehe ich.« Ein paar Sekunden lang zauderte er, denn er musste jedes Mal, wenn er etwas von sich preisgab, eine Hürde überspringen. »Meine Eltern sind auch in Amerika.«
Mit diesem Schachzug erzielte er die gewünschte Wirkung.
Prompt wurde Joanna von ihrem Kummer abgelenkt. »In Amerika? Warum?«
»Aus demselben Grund, der mich nach England geführt hat.«
Jetzt schaute sie ihn wieder an, und er fühlte sich erleichtert, denn hinter der Schwermut in ihrem Blick entdeckte er wieder die starke Frau, die er kannte - die vielleicht nur ein bisschen Trost brauchte. Ob sie ihn annehmen würde, blieb abzuwarten.
»Um Informationen zu sammeln?«, fragte sie.
»Um zu kaufen, was immer sie interessant finden. Das genießt meine Mutter in vollen Zügen. So wie Kassandra wünschte sie sich schon immer, Reisen zu unternehmen.«
»Wollte dein Vater nicht lieber nach England segeln?«
»Um in seiner ursprünglichen Heimat aufzutauchen, wo er schon so lange als tot gilt? Wohl kaum.« Einen Arm um Joannas Schultern gelegt, führte er sie zum Ausgang der Höhle. »Außerdem gefällt’s ihm in Amerika. Er hat gesagt, abgesehen von Akora, sei Boston der einzige Ort, wo er gern gestrandet wäre.«
Zu ihrer eigenen Überraschung lachte Joanna. Wie eigentümlich, dass sie in dieser Situation irgendetwas amüsant fand... Warum Alex ihr diese Geschichten erzählte, wusste sie - er versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen. Doch sie empfand nur milden Groll. Sie hatte versagt, und die schwarze Woge der Verzweiflung lauerte einfach nur irgendwo im Hintergrund, um sie später zu überschwemmen.
»Nun wirst du dich ausruhen«, entschied er.
Erst jetzt merkte sie, dass sie die Höhle verlassen und den Fuß der Wendeltreppe erreicht hatten, die zum Privatkorridor hinaufführte. Oh Gott, in diesem Moment schien Alex’ Suite meilenweit entfernt zu liegen, und der Weg nach oben war so schrecklich steil. Seufzend setzte sie ihren Fuß auf die erste steinerne Stufe, dann stöhnte sie leise. Die Welt begann, sich zu drehen. Sofort hob Alex sie hoch.
»Lass mich runter.« Was als Befehl gedacht war, klang wie das Piepsen eines Vögelchens. Grimmig presste sie die Lippen zusammen, fest entschlossen, keinen Laut mehr von sich zu geben - solange die Gefahr bestand, dass sie sich noch mehr blamieren würde.
Leichtfüßig stieg er die Treppe hinauf, nicht einmal die kleinste Spur einer Anstrengung beschleunigte seine Atemzüge. Ich bin kein Federgewicht, dachte Joanna. Wenn sie auch schlank war, hielt sie sich für eher robust gebaut. Also dürfte er sie nicht ohne jede Mühe nach oben tragen. Trotzdem gelang es ihm, und das jagte ein seltsames Zittern durch ihren Körper - was sie nicht wahrnehmen wollte.
»Kalt?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf und begann, die Stufen zu zählen. Vierundfünfzig, die ersten, die ihr entgangen waren, nicht mitgerechnet. Auf dieses Thema konzentrierte sie sich, als würde sie ihm eine besondere Bedeutung beimessen.
Bald danach erreichten sie die Suite. Durch die großen Fenster sah sie die Sonne dicht über den Bergen auf den fernen Inseln glühen, die letzten Strahlen verwandelten dunstiges Grün und Blau in pures Gold. Ein weiterer Tag war fast verstrichen, eine neue Nacht würde anbrechen.
»Ich muss es noch einmal versuchen.«
»Natürlich.« Seine Arme umschlossen sie ein wenig fester. »Aber nicht jetzt. Nun musst du dich erst einmal ausruhen und etwas essen.«
Er setzte sie auf das Bett, dann wandte er sich rasch ab -zu ihrer Erleichterung. Das redete sie sich zumindest ein. Mit langen Schritten durchquerte er das Zimmer, ergriff den Klöppel, der neben einem Gong aus gehämmerter Bronze hing, und schlug darauf. »Sida wird für alles sorgen, was du brauchst.«
In diesem Moment konnte er Joanna nicht anschauen. Den Anblick ihrer stolz gestrafften und doch so müden Schultern, der bleichen, von
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