Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
stattlicher Haltung, als habe er sein Lebtag nichts anderes getan als zu paradieren. Er blickte sich nicht um, wie es andere taten, sondern hielt den Blick, ebenso brennend wie konzentriert, geradeaus gerichtet, als könne nur er allein in die Zukunft sehen, der er gerade entgegenschritt.
Selbst als er bereits an mir vorüber war, konnte ich nicht den Blick von ihm lösen. Ich sah die kerzengerade Haltung seiner Schultern, das festliche Barett, das korrekt auf seinem Kopf saß – und dachte an Truthahnfedern und Waschbärenfett, an lila Wampum-Perlen und Rehleder. Ich dachte an seine Hände zurück, wie sie, mit Schlamm bespritzt, so gierig nach dem Buch gegriffen hatten, das ich ihm hinhielt. Ich hatte diese Reise begonnen, indem ich ihm bis in die verborgenen Winkel seiner Welt folgte, und indem er die strahlendsten Höhen meiner Welt erklomm, endete sie.
Da berührte Samuel mich am Arm und bedeutete mir, dass wir uns beeilen müssten, um rechtzeitig in der Aula zu sein. Ich hatte mit den Whitbys verabredet, dass ich die Zeremonie von der Küche aus beobachten durfte, und versprochen, ihnen an diesem anstrengendsten Tag des Jahres nicht zwischen den Füßen herumzulaufen. Ich sah durch die Luke, wie Samuel ganz vorne unter den angesehensten Absolventen seinen Platz einnahm. Die Aula war voll besetzt und mit aufgeregtem Geschnatter erfüllt, ehe der Pfarrer sich erhob, um sein Bittgebet anzustimmen. Dann wurde Benjamin Eliot nach vorne gerufen, um die Rede auf Griechisch zu halten. Er war zum Jahrgangsbesten ernannt worden. Über Joels viel zu frühen und tragischen Tod hatte niemand ein Wort verloren, und auch wenn ihm die Ehre dieses Titels zuteilgeworden war, wurde nichts davon verlautbart. Ich wusste nicht, warum man ihm posthum diese Anerkennung verweigerte; mir schien es einfach eine grobe Missachtung zu sein, die ich so ungerecht fand, dass mein Gesicht vor Scham brannte. Gewiss hätte man, wenn ein solches Schicksal einen Eliot oder Dudley ereilt hätte, davon gehört und wenigstens ein Gebet für ihn angestimmt. Bestimmt wollte Chauncy keinen Schatten auf den so heiteren Tag fallen lassen, und es konnte auch nicht in seinem Interesse sein, den jungen Eliot zu demütigen, indem man ihm zu verstehen gab, dass er nur zweite Wahl war. Erst recht nicht, wo der berühmte Vater mit einem stolzen Lächeln auf dem Gesicht unter den Ehrengästen saß. Dennoch empfand ich das Vorgehen als beschämend und peinlich, und das tue ich bis zum heutigen Tage.
Ich glaube, Benjamin Eliot hatte nicht viel Zeit gehabt, um seine kleine Rede vorzubereiten, denn er griff auf das etwas verstaubte und oft herangezogene Motiv der Erlösung durch Gnade zurück, und obgleich es eine fundierte Rede war, hätte niemand sie als brillant oder denkwürdig bezeichnet. Natürlich musste der junge Eliot sie auch nicht, wie andere, dazu benutzen, den ein oder anderen unter seinen Zuhörern auf sich aufmerksam zu machen, der vielleicht eine Kanzel oder ein Lehrerpult an einer Schule anzubieten hatte. Für ihn war der Weg längst klar und geebnet; er würde das Werk seines Vaters unterstützen. Später erfuhr ich, dass ihn ein hartes Los erwartete. Noch in jungen Jahren verfiel er dem Wahnsinn, ein Mensch, der weder seine Worte noch sein Tun im Griff hatte.
Als Nächster erhob sich Dudley, denn ihm fiel als Zweitem die Ehre der lateinischen Rede zu. Diese war geistreich und hübsch angelegt, denn Dudley hatte sich das Thema der goldenen Mitte ausgesucht, der Mäßigung, nach der es stets zu streben gelte. Kaum wiegte sich jedoch sein Publikum nach der Einleitung in Sicherheit, kam im Hauptteil ein kleiner Paukenschlag, denn Dudley stellte die Behauptung auf, in Wahrheit erlaube Gott überhaupt keine Mäßigung. Zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Lüge gebe es keinen Mittelweg, und das am wenigsten gemäßigte Faktum unserer Existenz sei die Existenz Gottes. Als er geendet hatte, schien auch die Zustimmung in der Aula selbst etwas Unmäßiges zu haben und leistete Dudleys Worten weiter Vorschub. Müßig hier zu erwähnen, was aus ihm wurde, denn sein Ruf – beziehungsweise seine Verrufenheit, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man die Sache betrachtete – ging ihm voraus, und sein Name wurde in den folgenden Jahren mehr als nur einmal erwähnt. Als ich erfuhr, dass er seine Abenteuer beim großen Sumpf-Massaker im König-Philip-Krieg niedergeschrieben hatte, bestellte ich mir das Machwerk. Ich las es voller Unbehagen,
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