Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
Vom Netzwerk:
ihr Beweggrund. Als sie sahen, wie die Bark auf Grund lief und strandete, rannten sie hin, um sich die Schiffsladung unter den Nagel zu reißen und jeden niederzuschlagen, der sich ihnen in den Weg stellte. Der erste Maat, der noch lebte, als wir ihn fanden – durch Gottes gestrenge Vorsehung starb er wenig später –, gab uns zu verstehen, dass sich Joel ihnen sehr tapfer entgegenstellte und sie in ihrer Sprache davon zu überzeugen suchte, von ihrem Vorhaben abzulassen, doch das brachte die Schurken offenbar noch mehr gegen ihn auf, und am Schluss gingen sie alle gemeinsam aufs Brutalste auf ihn los.«
    Als ich wieder sprechen konnte, wandte ich mich an Iacoomis und sagte ihm auf Wampanaontoaonk, es sei mir die allergrößte Ehre, wenn er mir erlauben würde, Joels sterbliche Hülle zu waschen und für das christliche Begräbnis herzurichten. Einen anderen Ritus wollte Iacoomis nicht für seinen Sohn.
    Samuel versuchte, mich von meinem Ansinnen abzubringen. Doch ich schaute ihm in die Augen und sagte ihm, ich sei fest entschlossen, woraufhin er mir – auch das ein Zeichen dafür, dass wir wirklich ein Paar geworden waren – einfach Ammi Ruhama aus den Armen nahm und nickte, während ich zu dem Ort ging, wo man Joels geschundenen Körper aufgebahrt hatte. Peter Folger gab mir Wäsche aus seinem eigenen Schrank, damit ich ihn verhüllen konnte. Ich tat mein Bestes, doch auch so musste Iacoomis, als er kam, um seinen Sohn ein letztes Mal zu sehen, seinen ganzen Mut und seine Überzeugungen als Christ zusammennehmen, um bei seinem Anblick nicht aufzuschreien. Und so ging er von dieser Welt, unser hoffnungsvoller junger Prophet Joel.
    Wir kehrten zusammen mit Iacoomis auf unsere Insel zurück. Mit an Bord hatten wir die schreckliche Nachricht, dass die Berichte und Gerüchte von dem gestrandeten Schiff und seinen ermordeten Passagieren der Wahrheit entsprachen. Ich war dabei, als man Anne die Nachricht überbrachte. Sie weinte laut, verzerrte das Gesicht und riss an ihren Haaren, doch zu trösten war sie nicht. Ich blieb die ganze Nacht mit ihr auf und ließ sie am nächsten Tag in der Obhut von Grace Iacoomis zurück. Als ich ging, saß sie an der Tür, die grünen Augen schwimmend vor Tränen, und starrte blicklos aufs Meer hinaus.
    Zwei Tage später gingen Samuel und ich in Cambridge an Land. Die Stadt war im Freudentaumel ob der Abschlussfeiern, was so gar nicht zu unserer eigenen Trauer passte. Seit der ersten Abschlussfeier im Jahre 1642 waren die Festlichkeiten zum Höhepunkt des Sommers in Cambridge geworden, zumal sie zeitlich mit der Ernte und ihren reichen Gaben zusammenfielen, bevor das Wetter schließlich winterlich und unwirtlich wurde. Seit der Gründung des College hatten selbst die ernsten Mitglieder dieser strengen Kolonie die Feiern schätzen gelernt und drückten bei Verstößen, die zu anderen Zeiten schwere Strafen nach sich gezogen hätten, mehr als ein Auge zu. Das war auch in diesem Jahr nicht anders, und wie immer füllte sich Cambridge, während der Tag näherrückte, ebenso mit Menschen, die mit dem College direkt zu tun hatten, als auch mit solchen, denen der Sinn einfach nur nach Feiern stand.
    Ich ließ Samuel und den Kleinen im Haus der Cutters zurück und ging direkt zum Indian College. Es war meine Aufgabe, Caleb die Nachricht zu überbringen. Ich war seine Freundin: Es war nur richtig, dass ich das tat. Samuel wollte mit, doch ich sagte nein. Ganz gleich, wie mein alter Freund diesen Schlag aufnahm, war es besser, so wenige Zeugen dabeizuhaben wie möglich, fand ich. Am schlimmsten daran war die pure Freude in seinem Gesicht, als er mich erblickte. Er lief in den Garten hinaus, um mich zu begrüßen, und strahlte wie bei unserer Rückkehr aus Padua, voller Freude ob der bevorstehenden Feierlichkeiten.
    Die ganze Seefahrt hindurch hatte ich mir den Kopf zermartert, was ich wohl zu ihm sagen könnte. Unzählige Male hatte ich die Worte in mir hin und her gewendet, doch am Ende erwies sich alles Grübeln als müßig. Wenn jemand einen anderen so sehr liebt, wie Caleb Joel liebte, dann bedarf es gar keiner Worte, um ihm eine schlechte Nachricht zu überbringen. Mein Gesicht, mein ganzer Körper, die Schwere meiner Schritte – das alles verriet ihm, was geschehen war, bevor ich auch nur das Wort »Schiffbruch« oder »Mord« sagen konnte. Caleb wusste sofort, dass seinem besten Freund etwas Schreckliches zugestoßen war.
    Er schrie nicht auf. Er stand nur da, und die Hand, die er

Weitere Kostenlose Bücher