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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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ausgestreckt hatte, um mich zu begrüßen, fiel schwer an seiner Seite herab. Sein Gesicht zuckte. Ich rang um Worte, die Kehle wurde mir eng. Was ich bezüglich des Geschehenen herausbrachte, weiß ich nicht mehr, doch es vergingen nur ein paar Augenblicke, bevor er mir mit einer erhobenen Hand Schweigen gebot.
    »Bethia.« Er holte tief und zitternd Luft. »Mir alles zu erzählen, werde ich dich später bitten. Doch jetzt lass mich allein.«
    »Caleb, wenn ich …«
    »Bitte, Bethia. Wenn ich dir irgendetwas bedeute, dann geh.«
    Und so ging ich. Ich weiß nicht, ob er sich später bei Samuel oder jemand anderem über Einzelheiten erkundigte. Doch mir gegenüber erwähnte er Joels Tod nie mehr.

VII
    Ich möchte nicht behaupten, dass die Abschlussfeier in Harvard im Jahre des Herrn 1665 vollkommen freudlos war. Es wurde durchaus gefeiert, und es gab selbst für diejenigen unter uns, die trauerten, Momente der bittersüßen Freude. In dieser gefallenen Welt ist das eben so: Jedes Glück ist wie ein heller Sonnenstrahl inmitten von Schatten, und jeder ausgelassene Moment ist von Kummer und Sorgen umrahmt. Es gibt keine Geburt, bei der man sich nicht an einen Tod erinnern wird, keinen Sieg, ohne den Gedanken an eine Niederlage. Und so wurde bei jenen Abschlussfeierlichkeiten auch gefeiert. Ich glaube, Joel hätte es so gewollt. Sein Geist war, wann immer ich ihn an jenem Tag spürte, wie eine sanfte Berührung, kein unruhiges Gespenst, sondern ein warmer und wohlwollender Begleiter. Und ich denke – hoffe –, Caleb empfand das ebenso.
    Wenn ich die Augen schließe, sehe ich jenen sonnendurchfluteten Spätsommertag immer noch vor mir. Schon am frühen Morgen waren die Wege von Besuchern aus Boston, Watertown, Charlestown und den umliegenden Farmen oder Plantagen verstopft. Die Angehörigen der Graduierten tummelten sich Schulter an Schulter mit Indianern, Farmern und Geistlichen, Straßenhändler boten lauthals ihre Waren feil, weil sie inmitten der Menschenmenge ein gutes Geschäft witterten. Es schien, dass es viele Menschen zwar nicht nach der Wissenschaft dürstete, aber nach Bier und Wein, denn die Kneipen konnten sich über mangelnden Zuspruch nicht beklagen, und so manch derbe Szene auf der Straße war auf Trunkenheit zurückzuführen.
    Als ich noch als Küchenmagd im College arbeitete, hatten uns die Vorbereitungen auf die Festgelage bereits Wochen vorher auf Trab gehalten. Nach altem Brauch hatten wir damals zwei Indianer aus Natick angeheuert, die große Spießbraten aus Rind zubereiteten, und über dem Kamin reihten sich allerlei Kessel und Schüsseln, die bis zum Rand mit Suppen, Eintöpfen und Puddings gefüllt waren. In jenem Jahr hatten wir nicht weniger als zwölf Fässer Wein aus dem Keller gerollt, und was die Mengen an Apfelwein und Bier anging, die ebenfalls getrunken wurden – und das allein auf dem Gelände des College –, hatte ich längst den Überblick verloren. Gerade in jenem Jahr hatte ich den Namen »Abschlussfeier« für das Ereignis besonders passend gefunden, denn von unseren Vorräten ging fast alles zur Neige, was Küche und Keller zu bieten hatten.
    Samuel und ich waren schon früh auf den Beinen, um uns einen guten Platz für die akademische Prozession zu sichern. Trotzdem waren uns schon viele zuvorgekommen. Ich konnte den Gouverneur sehen, zu Pferde und von seinen mit Lanzen bewehrten Wachen begleitet, ebenso wie Sheriffs dem Aufsichtskomitee das Geleit gaben. Nur die ehrenwerten Mitglieder des Obersten Gerichtshofes sowie die Geistlichen der sechs führenden Städte konnte ich nicht sehen, da sie alle zu Fuß kamen. So zog ich Samuel am Ärmel, und wir schlängelten uns nicht ohne Mühe durch die dichtgedrängte Menge, bis wir einen etwas erhöhten Platz gefunden hatten, der einen besseren Überblick bot. Ich wollte unbedingt Caleb mit den Kommilitonen seines Jahrgangs marschieren sehen. Ich entdeckte Chauncy und Dunster, den früheren Präsidenten, in den hermelingesäumten Talaren und den Samtbaretts ihrer englischen Alma Mater. Und dann kamen unsere Studenten in ihren einfachen Röcken, die als Schmuck einzig und allein ihre leuchtenden Gesichter tragen durften. Sie alle schauten mal ernst und dann wieder fröhlich, wenn sie in der Menge ein Elternteil oder einen Verwandten entdeckt hatten. Ich sah Eliot und Dudley, den gutaussehenden Hope Atherton und einen grinsenden Jabez Fox. Und dann als Allerletzten Caleb, gut einen halben Kopf größer als sein Nebenmann, in

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