Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
weitere Männer gefolgt. Sie gingen in Richtung Wald, wo sie Tequamuck mit großer Ehrerbietung begrüßten. Als ich noch einmal hinschaute, waren alle verschwunden.
VII
Ich fragte Caleb nie, ob er der bemalte junge Mann zur Rechten des pawaaw gewesen war. Ich wollte seine Antwort nicht hören.
Als jener Spätsommer allmählich in den Herbst überging, kühlte das Sonnenlicht zu einem schräg einfallenden Glimmen ab, übergoss das Strandgras mit einem Bronzeschimmer und setzte die Tupelobäume in Brand. Caleb lernte das Alphabet schneller, als ich glauben mochte. Noch bevor die Äpfel reif wurden, las er flüssig und sprach ein brauchbares Englisch. Ich glaube, sein Gehör war deshalb so unglaublich fein, weil er von Kindesbeinen an gelernt hatte, Vogelgezwitscher nachzuahmen, um Wasservögel anzulocken. Kaum hatte er ein Wort gelernt, sprach er es gleich ohne Akzent, genau wie ein Engländer es ausgesprochen hätte. Schon bald wollte er, dass ich Wampanaontoaonk nur noch dann sprach, wenn ich ihm etwas erklären musste, was er nicht gleich begriff, und es dauerte nicht lang, bis unsere Gespräche statt in seiner Sprache fast nur noch in der meinen stattfanden. Doch so viele Fortschritte wir auch in dieser Richtung machten – was die Unterweisung seiner Seele betraf, bot er mir immer noch sehr viel Widerstand. Oft verspottete er mich und legte dabei eine geistige Wendigkeit an den Tag, hinter der ich den Einfluss des Teufels vermutete. Eines Tages zum Beispiel, als wir über die Schöpfungsgeschichte sprachen, wandte er sich mir mit einem schelmischen Glanz in seinen braunen Augen zu. »Du behauptest also, dass alles in sechs Tagen erschaffen wurde?«
Ja, sagte ich.
»Alles?«, wiederholte er.
So lehre es uns die Bibel, erwiderte ich.
»Himmel und Hölle wurden damals also auch geschaffen?«
So heiße es, erwiderte ich, und so müssten wir es glauben. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war genau der, den er annahm, wenn er einen fetten Barsch auf seinem Speer aufgespießt hatte. »Dann beantworte mir folgende Frage: Warum hat Gott die Hölle erschaffen, bevor Adam und Eva gesündigt hatten?«
Diese Frage war mir noch nie in den Sinn gekommen, doch ich dachte rasch nach und erwiderte: »Weil Gott alles weiß, und weil er wusste, dass sie es tun würden.«
»Warum hat er dann nicht die Schlange getötet, ehe sie die beiden in Versuchung führen konnte?«
»Weil er ihnen einen freien Willen geschenkt hat«, sagte ich.
»Und so schenken wir auch unseren Kindern einen freien Willen, aber ihr Engländer rügt uns und sagt, sie seien ungezogen und müssten gezüchtigt werden.«
Oftmals verärgerten mich diese Spitzfindigkeiten, und ich brach den Unterricht ab und ritt nach Hause, um Selbstbeherrschung bemüht und mit der festen Entschlossenheit, nichts mehr mit diesem dickköpfigen Heiden zu tun haben zu wollen. Doch meist verging keine Woche, und ich hielt schon wieder nach ihm Ausschau, trieb mich an den Plätzen herum, die mittlerweile für uns beide vertraute Treffpunkte waren, und wartete, bis er irgendwann auf seine unverhoffte Weise aus dem hohen Gras oder einem Buchenwäldchen auftauchte. So ging das immer weiter, und ein ganzes Jahr ging ins Land. Beide wuchsen wir heran und veränderten uns, übernahmen neue Verantwortung in unserer jeweiligen Welt, doch wir schufen immer einen Raum, in dem diese Welten sich begegnen und ineinandergreifen konnten. Im Laufe der Zeit wurde es für mich immer schwieriger, eine klare Trennlinie zwischen meinem englischen Wesen und dem Mädchen in den Wäldern zu ziehen, einem Mädchen, das den wirklichen Namen einer jeden Kreatur auf der Insel kannte, das über einen Blätterteppich gehen konnte, ohne eine Spur zu hinterlassen, das einen Fisch in einer einzigen fließenden Bewegung aus einer Reuse zog und dessen Seele einen Blick auf eine Welt zu werfen vermochte, die von ganz anderen Göttern bewohnt wurde als ihre eigene.
Immer härter musste ich an mir arbeiten, um jenes Mädchen abzuschütteln, wenn ich nach Great Harbor zurückritt. Ich musste es dort in den Wäldern zurücklassen: seinen schlendernd lockeren Gang, den kühnen Blick und die ungezwungene Art. Zum Glück war ich schon lange daran gewöhnt, mir jedes Wort, das ich sagte, genau zu überlegen, sonst hätte ich mich unzählige Male verraten. Manchmal, wenn ich ins Haus kam, blickte meine Mutter vom Teigkneten oder Spinnen auf und fragte mich, nachdem sie bewundert hatte, was ich unterwegs für unsere
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