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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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bei sich aufgenommen und fragten nun Vater, ob er sich um den verwundeten Fuß des Mannes kümmern könne. Sie berichteten, man habe ihm vier Zehen abgetrennt, eine nach der anderen, sie dann über dem Feuer geröstet und ihm zu essen gegeben. Mir wurde fast übel, als ich das hörte, und ich musste rasch das Gesicht abwenden, damit Vater nicht merkte, dass ich alles, was gesagt worden war, verstanden hatte.
    Auch Vater sah aschfahl aus. Er murmelte mir auf Englisch zu: »Sie wollen daran glauben, dass ich heilende Kräfte habe, ganz gleich, was ich ihnen sage. Das liegt an ihren pawaaws, die vorgeben, Heiler zu sein. In ihren Augen sind Religion und Medizin im Grunde das Gleiche. Doch da sie ihren pawaaw aufgegeben haben und hierherkommen, muss ich es wohl tun, so gut ich kann …«
    Der verletzte Mann war auf die Matte gebettet worden, und Vater versuchte, ihm den Mokassin auszuziehen, der dunkel vor getrocknetem Blut war. Als er sah, dass das Leder des Schuhs am Fleisch des Mannes klebte, rief er nach warmem Wasser. Damit befeuchtete er den Mokassin vorsichtig und begab sich daran, das entzündete, geschwollene Fleisch von Eiter zu säubern, wobei er vor sich hin murmelte und die Barbarei solcher Wunden beklagte. »Etwas Derartiges zu tun, und zwar nicht etwa in der Hitze des Gefechts, sondern absichtlich … Bethia, hier muss es sich einfach um sündhafte Menschen handeln. Feindseligkeit ist unter ihnen weit verbreitet. Wie die Heilige Schrift sagt: Es wird die Liebe in vielen erkalten. «
    Ich sah, dass er saubere Tücher brauchte, um den verletzten Fuß zu verbinden, doch hier gab es keine. »Soll ich ein paar Streifen von meiner Bluse abreißen?«, flüsterte ich. Er nickte, und ich suchte hinter einigen Blaubeerbüschen Schutz, riss den unteren Teil meiner Wäsche in Streifen und brachte den Stoff zu ihm.
    Er tupfte den verstümmelten Fuß ab, stellte sich aber beim Bandagieren ungeschickt an. »Soll ich das machen?«, fragte ich. »Das kann ich recht gut.« Er überließ mir seinen Platz, und ich verband den Fuß, so wie ich es Mutter abgeschaut hatte, wenn wir uns geschnitten oder verbrannt hatten. Vater nickte anerkennend, und der Mann konnte sich etwas unbeholfen aufrichten. Sein Gesicht war zwar angespannt und mit Schweiß bedeckt, doch er ließ sich nichts anmerken, obwohl er bestimmte große Schmerzen litt.
    Während er davonhumpelte, schaute Vater ihm hinterher und schüttelte den Kopf. »Für all diese Menschen hier hat Gott in seiner Weisheit nicht so viel getan, wie er es für uns getan hat. Sie sind ganz und gar in der Hand des Teufels. Es ist ein Segen, dass Gott uns nun hierherführt. Wir müssen es als besonderes Glück ansehen, dass wir in der Lage sind, den kleinen Senfsamen des Evangeliums hierherzubringen und zuzuschauen, wie er Wurzeln schlägt.«
    Mittlerweile war es schon fast Mittag, die Zeit, zu der Vater zu predigen pflegte. Die Frauen legten ihre Hacken beiseite, und die Männer kamen aus den Hütten. In der kleinen Siedlung standen nur etwa sieben oder acht dieser Behausungen, kleine Kuppeln aus gebogenen jungen Ästen, die mit Borke und gewebten Matten gedeckt waren und jeweils höchstens ein oder zwei Familien beherbergten. Doch mitten auf der Lichtung stand ein Langhaus, das statt einer herunterhängenden Matte eine richtige englische Tür besaß. Vater sagte, wenn schlechtes Wetter sei, predige er dort drinnen, inmitten dicht gedrängter Menschen.
    An diesem Tag jedoch war es schön, und so forderte er die Leute dazu auf, ihm bei einem großen, geschwungenen Felsbrocken zu lauschen, auf dem die Witterung vieler Jahre eine Art Plattform geschaffen hatte. Von diesem natürlichen Podium aus hielt er gewöhnlich seine Predigt.
    Bis um die Mittagszeit hatten sich etwa zwanzig Seelen dort versammelt. Ich stand am Rande der Gruppe und versuchte, meinen Vater mit ihren Augen zu sehen. Er war ein hagerer Mann, weil er im Gegensatz zu Makepeace hart auf unserer Farm arbeitete und sich nicht zu schade war, Holz zu hacken, Wasser zu holen oder andere Aufgaben zu erfüllen, mit denen er Mutter die Arbeit erleichtern konnte. Wie es einem Pfarrer geziemte, bevorzugte er dunkle, düstere Farben wie Schwarz oder Dunkelbraun und trug das blonde Haar dezent geschnitten über dem Kragen, den Mutter stets blütenweiß und gestärkt für ihn bereithielt. Obwohl es ein warmer Tag war, zog er seinen Mantel nicht aus; da die Wampanoag viel Wert auf ihre eigenen Stammesabzeichen legten, wenn sie zu einer

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