Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
hingegen hatten als Krieger und Jäger nur wenig mit der täglichen Schufterei zu tun. »Natürlich muss man wissen, dass die Jagd mit Pfeil und Bogen kein so edles Vergnügen ist wie bei einer Jagdgesellschaft in England, Bethia. Es ist ein anstrengendes Unterfangen, ohne die Treiber, die den Jägern das Wild entgegentreiben, und die Wildhüter, die dafür sorgen, dass die Beute gesichert wird. Trotzdem finde ich, dass die Männer mehr tun könnten, um den Frauen ihre Bürde zu erleichtern.«
Um seine Meinung zu unterstreichen, setzte sich Vater zu einigen alten Frauen, die getrocknete Bohnen vom Vorjahr enthülsten, nahm sich selber ein paar Schoten und machte sich an die Arbeit, während er mit ihnen plauderte. Als er zu einer anderen Gruppe ging, die mit Hacken beschäftigt war, bückte er sich und sammelte das Unkraut ein, das die anderen aus dem Boden gerissen hatten.
Es gab etwa ein halbes Dutzend Kinder, die auf den Feldern oder bei den Hütten herumliefen – weniger, als man angesichts der Größe der Siedlung, die immerhin aus mehr als anderthalb Dutzend Familien bestand, erwartet hätte. Doch zum Glück waren es nur so wenige, denn alle schienen vollkommen ungezügelt zu leben, ohne Regeln und Normen. Sie rannten querfeldein und kamen den Frauen mit ihren Harken in die Quere, mischten sich in die Gespräche der Männer oder stibitzten ihnen die Spielkarten, und die ganze Zeit über durchbrachen sie die Stille mit lauten Schreien und durchdringendem Kreischen. Ein englisches Kind hätte schon für viel weniger eine Tracht Prügel bekommen. Und doch sah ich keinen einzigen Erwachsenen, der auch nur zur Ermahnung den Finger erhoben hätte. Als ich das meinem Vater gegenüber erwähnte, nickte er und sagte: »Ja, in der Tat. Man erzieht sie mit auffallender Nachsicht. Ich habe das bereits einigen Erwachsenen gegenüber angemerkt und sie gefragt, warum sie ihre Kinder nicht züchtigen. Aber sie sagen, da das Erwachsenenleben so hart sei, solle wenigstens die Kindheit frei von Zwang sein. Eine Sichtweise, die von großer Liebe zeugt, so irrig sie auch sein mag.«
Vater hatte für jeden einen freundlichen Gruß parat, und mich beeindruckte, wie viel er vom Leben dieser Menschen, ihrer Familien und von ihren Angelegenheiten wusste. Ich erfuhr, dass er ihnen in praktischen Dingen viel Gutes tat, was vielleicht ja noch mehr Wirkung auf sie hatte als all seine Predigten. Mehr als einmal wäre ich beinahe zusammengezuckt, als er wieder einmal ein Wort vollkommen verkehrt aussprach, sodass die Bedeutung sich deutlich von dem unterschied, was er, wie ich vermutete, im Sinn gehabt hatte. Ich selber hatte bei meinem Studium der Sprache mit der Zeit begriffen, dass das wichtigste Prinzip ihrer Grammatik die Unterscheidung von belebten und nicht belebten Dingen ist. Wie sie das entscheiden, ist unserem Denken fremd, denn sie sind sehr freigebig, wenn es darum geht, allen möglichen Dingen eine Seele zuzubilligen. So ist zum Beispiel das Paddel eines Kanus belebt, weil es etwas anderes in Bewegung versetzt. Selbst eine armselige Zwiebel hat, nach ihrer Sicht, eine Seele, denn auch sie verursacht Bewegung – indem sie Augen zum Tränen bringt. Immerhin: Kaum hatte ich begonnen, diese fremde, leibhaftige Welt mit Calebs Augen zu sehen, hatten sich auch meine Grammatikkenntnisse deutlich verbessert, und es dauerte mich, dass Vater sich selbst durch so zahlreiche Fehler bloßstellte. Ich errötete jedes Mal, wenn er unwissentlich ein unschickliches Wort benutzte, es dabei jedoch für ein schönes Kompliment hielt. Doch die Wampanoag, die ihn offenbar liebten, ließen sich nichts anmerken und bemühten sich nach Kräften zu verstehen, was er meinte, um ihn nicht zu beschämen.
Am späteren Vormittag wurde ein Mann zu ihm gebracht, der nicht aus der Siedlung stammte. Er humpelte und wurde von zwei anderen gestützt. Offenbar war er nur knapp dem Zorn der Narragansett entkommen, einem Stamm, mit dem die Wampanoag des Öfteren im Streit lagen, weil sie auf dem Festland direkte Nachbarn waren. Dieser Mann nun war bei einem Überfall der Narrangansett gefangen genommen worden, und da einer seiner Peiniger einen Bruder hatte, der bei einem früheren Scharmützel getötet worden war, hatte man den Gefangenen zu einem langsamen Tod am Marterpfahl verurteilt. Irgendwie war er entkommen, als die Tortur noch nicht abgeschlossen war, hatte ein mishoon, ein Kanu, gestohlen, und war zur Insel gepaddelt. Die betenden Indianer hatten ihn
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