Inselglück
abgeseilt, und ich habe bisher nur einmal von ihm gehört, per E-Mail, da wollte er Geld. Und ich habe es ihm geschickt, trotz meiner Wut über seine Bitte und sein Abhauen generell. Weil er mein Sohn ist.«
Connie nickte.
»Ich habe euch doch im Cauldron schon von Joe erzählt«, sagte Dan.
Tatsächlich?, dachte Connie.
»Du erinnerst dich nicht, oder? Vielleicht, weil du betrunken warst. Na ja, wir haben alle getrunken an dem Abend. Aber bei dir scheint mir das Trinken, wenn ich das sagen darf, eine Art Schutzschild zu sein. Du hast Angst vor mir, vor Nähe oder vor der Vorstellung von Nähe. Du hast Angst davor, dich auf jemanden einzulassen, du hast Angst davor, mit jemandem zu sprechen, und deshalb hast du beide Male, als ich dich eingeladen habe, Meredith mitgebracht. Ich verstehe, Connie: Du bist noch nicht bereit. Aber ich bin nicht bereit für eine Frau, die nicht bereit ist. Begreifst du das?«
Im Hintergrund dudelte »Beautiful Day«. Ehe Connie es sich wieder ausreden konnte, sagte sie: »Hast du Lust, was zu unternehmen? Einen Kaffee zu trinken vielleicht? Oder einen Spaziergang am Strand zu machen?«
Dan zog sein Handy aus der Tasche und sah nach, wie spät es war. »Um acht muss ich wieder in der Stadt sein.«
Connie wartete.
»Okay, lass mich zu Ende einkaufen«, sagte er. »Ich habe Zeit für einen Strandspaziergang. Einen kurzen Spaziergang.«
Sie fuhren nach Monomoy, wo der Sand schlammig war und die Luft nach Fisch und Seetang und ein bisschen nach Fäulnis roch, obwohl Connie sich angesichts der aufgehenden Sonne und des Blicks auf den Hafen voller Boote keinen reizvolleren Ort denken konnte. Sie hatte also die Kulisse, und sie hatte den Mann, vorübergehend jedenfalls, und doch wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie war entsetzt über sich, weil sie diesen Ausflug vorgeschlagen hatte. (Es gab nichts zu beschönigen: Sie hatte ihn dazu gezwungen.) Ihr Leben lang war sie erst von Jungen, dann von Männern verfolgt worden. Mehr als ihr halbes Leben lang war sie die von ihrem Mann vergötterte Ehefrau von Wolf Flute gewesen, aber jetzt gab es Wolf nicht mehr, wer also war sie? Es kam ihr vor, als hätte er sie, Connie, mit sich genommen. Sie war niemandes Ehefrau mehr.
Und sie war gefährlich nahe daran, auch niemandes Mutter mehr zu sein.
Connies Füße erzeugten beim Laufen in dem nassen, klebrigen Sand ein schmatzendes Geräusch. Dass Dan »einen kurzen Spaziergang« gesagt hatte, machte sie befangen. Schon dachte sie daran, umzukehren, um den Mann nicht länger aufzuhalten. Aber es interessierte sie, was er über seinen Sohn berichtet hatte, der seinen Pick-up geklaut, sich nach Kalifornien abgesetzt und per E-Mail um Geld gebeten hatte.
»Erzähl mir von Joe«, sagte sie. Es war ihr peinlich, dass Dan ihr anscheinend bereits von Joe erzählt hatte und sie sich nicht daran erinnerte.
»Oh, Mann, wir steigen gleich ganz tief ins richtige Leben ein?«
»Tut mir leid«, sagte Connie. »Aber ich höre die Uhr ticken. Und ich möchte wirklich Bescheid wissen.«
»Joe«, sagte Dan. »Joe, Joe, Joe.« Er starrte hinaus aufs Wasser, was Connie Gelegenheit gab, ihn zu studieren. Er war so attraktiv, dass ihr fast ein wenig übel wurde. Ihr gefielen seine kurz geschorenen Haare, braun und grau; ihr gefielen seine blau-haselnussbraunen Augen, die Stoppeln auf seinem Gesicht, sein Adamsapfel, die straffe Geschmeidigkeit seiner sportlichen Figur. Dan achtete auf seinen Körper, das sah Connie. Er wollte ihn sich lange erhalten, und das hatte in seinem Alter etwas sehr Erfreuliches.
»Ich kriege schon Zustände, wenn ich nur seinen Namen ausspreche«, gestand Dan.
Das Gefühl kannte Connie, weiß Gott! Jedes Mal, wenn sie in Gedanken oder laut »Ashlyn« sagte, stieg ihr Blutdruck. Jedes Mal, wenn ein anderer – besonders jemand wie Iris – den Namen »Ashlyn« aussprach, hatte Connie das Gefühl, es würde eine Waffe auf sie gerichtet. Es faszinierte sie, dass ihr jetzt ein anderer Mensch dasselbe Phänomen beschrieb.
»Joe wurde nach Nicoles Dad benannt«, sagte Dan. »Also war es von Anfang an so, dass er irgendwie ihr gehörte. Nur ihr.« Er blieb stehen, hob einen flachen, abgerundeten Stein auf, ließ ihn ein Dutzend Mal über das Wasser flitzen und grinste Connie an. »Ich bin ein hervorragender Steineschleuderer.«
»Ich sehe es«, sagte Connie. Anscheinend versuchte er, ihr zu imponieren, was ein gutes Zeichen war.
»Wenn man an so etwas glaubt«, sagte Dan, »dass ein Kind
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