Inselglück
von Reportern, die Fotos machten und ihr Mikrofone unter die Nase hielten, aber Burt und Dev waren da, um sie zu verscheuchen und ihr ein Taxi anzuhalten.
Später sollte sie sich wünschen, sie wäre in der relativen Sicherheit ihres Apartments geblieben.
Meredith musste furchtbar lange warten, bis sie Freddy sehen konnte, eine Zeit, in der sie einunddreißig Spielarten der Unruhe durchlebte. Burt und Dev waren bei ihr – zusammen kosteten sie sie neunhundert Dollar pro Stunde, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie sie je bezahlen sollte. Burt checkte sein BlackBerry mit einer Zwanghaftigkeit, die Meredith ganz kribbelig machte. Dev blätterte rastlos in einer veralteten Ausgabe des National Geographic , die er von dem traurigen, wackeligen Tisch genommen hatte, in den jede Menge Initialen geritzt waren. Dann legte er die Zeitschrift hin und musterte die anderen Wartenden – Männer und Frauen, die noch hoffnungsloser und verlorener wirkten, als Meredith sich fühlte – , als wollte er sie als Romanfiguren benutzen. Sie sprachen erst, als Meredith aufgerufen wurde und Burt und Dev ihr beide Glück wünschten. Sie begleiteten sie nicht. Die Sicherheitskontrolle war ein langwieriger und mühsamer Prozess, bei dem Meredith samt ihrer Unterarmtasche und ihres Frühjahrsmantels genauestens überprüft wurden. Eine Beamtin, doppelt so groß und dick wie Meredith, tastete sie grob ab. Es hätte nur noch gefehlt, dass die Frau sie hochgehoben, auf den Kopf gedreht und geschüttelt hätte. Obwohl sie nichts sagte, hatte sie Meredith bestimmt erkannt und verspürte die vorhersehbare Verachtung für sie. Zum Abschluss versetzte sie ihr einen Schubs, bloß zum Vergnügen.
Meredith protestierte nicht. Sie war zu nervös dazu und wurde sofort durch verschlossene Türen und lange, kahle Flure zu Freddy eskortiert. Sie hatte sich gelobt, dass sie nicht zusammenbrechen würde. Sie würde sich gegen jede Sentimentalität und Sehnsucht wehren. Sie würde Freddy einfach nur die Fragen stellen, auf die sie Antworten brauchte, vielleicht nicht alle vierundachtzig – so viel Zeit hatte sie nicht – , aber die wichtigsten zwei oder drei: Wo war der Rest des Geldes? Was konnten sie tun, um Leo zu entlasten? Wie konnte sie der Welt beweisen, dass sie unschuldig war? Freddy war momentan der einzige Mensch, der ihr helfen konnte.
Als sie Freddy schließlich erblickte, gaben ihre Beine nach. Der Aufseher packte sie fest am Arm und stützte sie.
Freddy!, hallte eine Stimme in ihrem Kopf durch einen langen Tunnel wider.
Er trug einen orangeroten Overall wie die Gefangenen, die sie in unzähligen Wiederholungen von Law & Order gesehen hatte, und seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt. Seine Haare, einst grau melierte Locken, waren bis zur Kopfhaut abgeschoren und nahezu weiß. Er war zweiundfünfzig und sah aus wie fünfundsiebzig. Und trotzdem war er derselbe, der Junge, der sie zwischen den Regalen des Buchladens von Princeton angesprochen hatte. Sie waren Teilnehmer desselben Anthropologiekurses gewesen, und Meredith hatte nach dem letzten gebrauchten Lehrbuch gegriffen, um ihren Eltern Kosten zu ersparen, aber Freddy hatte sie darum angefleht . Ich kann mir kein neues Buch leisten, und wenn du das hier kaufst, habe ich gar keins, und wenn ich keins habe, falle ich bei der Prüfung durch. Das willst du doch nicht, oder? Und sie hatte gefragt: Wer bist du? Und er hatte gesagt: Ich bin Freddy Delinn. Wer bist du?
Sie nannte ihm ihren Namen, Meredith Martin.
Du bist sehr hübsch, Meredith Martin , sagte er, aber deshalb bitte ich dich nicht um das Buch. Ich bitte dich darum, weil ich mein Studium mit sechs Stipendien finanziere, weil meine Mutter tagsüber in einer Abfüllfabrik arbeitet und abends als Kassiererin im K-Mart und weil ich dieses Buch brauche!
Meredith nickte, verblüfft von seiner Offenheit. Aufgewachsen im Speckgürtel von Philadelphia, hatte sie noch nie gehört, wie jemand seine Armut eingestand. Ihr gefielen seine schwarzen Haare und blauen Augen und seine blasse, glatte Haut. Wäre er nicht so demütig aufgetreten, was sie tief bewegte, hätte sie ihn für einen der vielen arroganten Oberschichtsschnösel gehalten. Meredith war auf der Stelle fasziniert von ihm. Und er hatte sie »hübsch« genannt! Vor ein paar Monaten hatte Toby mit ihr Schluss gemacht und ihr Selbstwertgefühl so beschädigt, dass sie sicher gewesen war, niemand würde sie je wieder hübsch finden.
Sie reichte Freddy das gebrauchte
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