Inselglück
im Laufe der Wochen immer wieder. Auf keinen Fall. Auf jeden Fall; es gab so vieles, das sie wissen wollte. Sie war sich nicht sicher, wie es sich in den Augen der Welt ausnehmen würde. Sie konnte sich nicht entscheiden. Sie bat ihre Anwälte um Rat.
»Soll ich Freddy im Gefängnis besuchen? Oder soll ich ihn wie meine Söhne komplett aus meinem Leben verbannen?«
Sie überschlugen sich förmlich mit ihren Antworten. Dev, das merkte sie, wollte, dass sie ihren Mann im Stich ließ. Was kann er denn für Sie tun? Er hat Sie ebenso ruiniert wie alle anderen. Burt dagegen dachte formeller.
»Ich bin nicht Ihr PR -Agent«, sagte er. »Ich bin Ihr Anwalt. Also ist es meine Aufgabe, Ihnen zu erklären, dass Sie das Recht haben, Ihren Ehemann zu besuchen.« Er reichte ihr ein Blatt Papier. »Besuchszeit ist montags zwischen neun und elf. Der Besuch darf eine Stunde dauern.«
»Kann ich ihm was mitbringen? Was braucht er?«
Burt räusperte sich. »Sie haben ziemlich strenge Sicherheitsvorkehrungen.« Das klang vage. Es klang, als gäbe es seitenweise Vorschriften, mit denen Burt sich aber erst noch vertraut machen musste. Hatte Burt denn schon mal einen Mandanten gehabt, der im Gefängnis saß? Meredith wollte ihn mit dieser Frage nicht in Verlegenheit bringen.
»Vierteldollars sind gut.«
»Vierteldollars?«
»Ja«, sagte Burt. »Für die Automaten.«
»Für die Automaten«, wiederholte Meredith. Sie stellte sich vor, wie Freddy eine Tüte Chips oder ein Päckchen Kekse auswählte, und etwas in ihr erstarb. Aber was dachte sie denn, was er da drinnen aß? Caprese?
Nicht hinfahren, bläute Meredith sich ein. Die einzige Möglichkeit, sich selbst zu retten, war die Trennung von Freddy. Sie musste tun, was ihre Kinder getan hatten: sich von Freddy und ihrem gemeinsamen Leben lossagen. Als Leo und Carver von Freddys Untaten erfahren hatten, hatten sie vor Wut getobt, und Freddy hatte teilnahmslos dagesessen und ihnen keine Erklärung dafür geboten, dass sie die Söhne eines Diebes und pathologischen Lügners waren. Sie waren aus der Wohnung gestürmt, und Meredith wusste inzwischen, was sie damals nicht gewusst hatte: Sie hatten erwartet, dass sie mitkam. Doch sie war an Freddys Seite geblieben, das war ihr Platz seit dreißig Jahren. Sie konnte Freddy nicht im Stich lassen, bevor alles aufgeklärt war. Was genau muss da noch aufgeklärt werden, Mom?, hatte Leo gefragt. Dad ist ein Betrüger, ein Verbrecher! Er hat finanziellen Genozid begangen! Und Carver sagte: Wir ändern unseren Namen. Das solltest du auch tun.
Meredith wusste, sie sollte eine Erklärung abgeben, in Barbara Walters’ Talkshow auftreten, falls Barbara sie haben wollte. Die Wahrheit darlegen, wie sie ihr bekannt war, auch wenn kein Mensch auf Gottes weiter Erde ihr glauben würde.
Wochen vergingen, Monate. Meredith hielt sich an ihren Entschluss. Denk nicht an Freddy. Tu so, als wäre er tot. Doch als sich Hinweise auf ihre und dann Leos Mittäterschaft herauskristallisierten, dämmerte Meredith, dass ihre einzige Hoffnung in einem Besuch bei ihm lag. Sie brauchte Antworten, zum Beispiel in Bezug auf das Geld: das, von dem die Polizei wusste, und das, von dem sie nichts wusste. Er musste es zurückgeben – alles. Das war ihm doch klar, oder? Wie lange war das mit dem Schneeballsystem gelaufen? Von Anfang an? Hatte sich Delinn Enterprises jemals total an die Gesetze gehalten? Gab es keine Möglichkeit zu beweisen, dass Leo unschuldig war, dass dieser Mistkerl Deacon Rapp log? Konnte Freddy nicht die Namen seiner Komplizen nennen, um die Haut seines Sohnes zu retten? Meredith begann, eine Liste mit Fragen zu erstellen. Sie kam auf vierundachtzig. Vierundachtzig Fragen, auf die sie Antworten benötigte, einschließlich der, warum Freddy an jenem Tag Samanthas Rücken berührt hatte.
Für den Besuch im Gefängnis trug Meredith Jeans, eine weiße Hemdbluse und ihren Frühjahrsmantel, und sie hatte eine Unterarmtasche bei sich, in der zwei Rollen mit Vierteldollars steckten. Ihr Haar war seit Monaten nicht nachgefärbt worden, also ziemlich grau, und Ausflüge nach Palm Beach hatte es auch nicht gegeben, so dass ihr Teint die Farbe von Tapetenkleister aufwies. Sie war nicht geschminkt – sie konnte die amerikanische Öffentlichkeit nicht damit beleidigen, dass sie sich mit Wimperntusche abgab – , obwohl sie wusste, dass dies die Presse zu Kommentaren über ihr verhärmtes Aussehen einlud. Na gut, sie war verhärmt. Vor dem Haus wartete ein Mob
Weitere Kostenlose Bücher