Inselglück
Buch und nahm sich selbst ein neues Exemplar, das mehr als doppelt so viel kostete.
Die Erinnerung an diese Situation stand ihr jetzt vor Augen, als sie Freddy ansah, und sie dachte: Ich hätte ihm das Buch nicht geben dürfen. Ich hätte »Pech gehabt« sagen und gehen sollen.
Der Aufseher schloss Freddys Handschellen auf, damit er mit Meredith telefonieren konnte.
Meredith merkte, dass sie nicht zu sprechen imstande war, und so griff sie nicht nach dem Hörer, ebenso wenig wie er. Er hatte immer geglaubt, dass Meredith intelligenter sei als er – was zutraf – , dass sie mehr Klasse habe, mehr Bildung, mehr Stil. Er hatte sie stets behandelt wie einen kostbaren, einzigartigen Schatz, mit regelrechter Ehrfurcht. Tief in ihrem Herzen befürchtete sie – Gott weiß wie sehr – , dass er die ganze Geschichte aufgezogen hatte, um ihr zu imponieren.
Sie nahm den Hörer. »Fred.«
Der hinter Freddy stehende Aufseher half ihm, den Hörer ans Ohr zu führen.
»Fred, hier ist Meredith.« Sie kam sich zwar idiotisch vor, als sie das sagte, aber sie wusste wirklich nicht genau, ob er sie erkannte. Sie hatte sich vorgestellt, er würde weinen, sich entschuldigen, sie zumindest seiner ewigen Liebe versichern.
Doch er musterte sie kühl. Sie versuchte, die Aufmerksamkeit des Aufsehers zu wecken, um ihn zu fragen – Alles in Ordnung mit ihm? – , aber der starrte ins Leere, vielleicht absichtlich, und beachtete sie nicht.
»Fred«, sagte Meredith. »Du musst mir zuhören. Ich bin in Schwierigkeiten, und Leo ist in Schwierigkeiten. Sie wollen mir eine Mittäterschaft anhängen.« Sie schluckte. »Die Polizei denkt, ich wusste Bescheid! « Freddy schien sie zu hören, reagierte jedoch nicht. »Und sie glauben, Leo hätte mit dir im sechzehnten Stock gearbeitet. Jemand namens Deacon Rapp hat ihnen das erzählt.« Meredith hielt in Freddys Miene Ausschau nach einem Aufblitzen von Erkenntnis oder Interesse. »Wo ist das restliche Geld, Fred?« Sie hatte die Liste mit den vierundachtzig Fragen in ihrer Unterarmtasche – bei der Kontrolle hatte sich niemand die Mühe gemacht, auch nur einen Blick darauf zu werfen – , aber wenn er ihr nur diese eine beantworten würde, konnte sie die Information ans FBI weitergeben, und dann waren Leo und sie vielleicht aus dem Schneider. Auch wenn nicht mehr sehr viel übrig war – ein paar Milliarden oder Millionen – , konnte Freddys Antwort ihnen helfen. Er selbst saß unausweichlich in der Patsche. »Bitte sag mir, wo das restliche Geld ist. Auf einem Offshore-Konto? In der Schweiz? Im Nahen Osten? Da nützt es doch niemandem, Freddy.«
Freddy nahm den Hörer vom Ohr und sah ihn an, als könnte er etwas zu essen sein. Dann legte er ihn vor sich hin.
»Freddy, warte!«, sagte sie. »Sie werden mich anklagen. Sie werden Leo anklagen. Unseren Sohn.« Vielleicht war sie Freddy egal; sie musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er nicht nur in Bezug auf alles andere, sondern auch auf seine innige Zuneigung zu ihr gelogen hatte. Aber er würde nie wissentlich zulassen, dass Leo ins Gefängnis kam.
Er starrte sie an. Das Plexiglas zwischen ihnen erinnerte Meredith an den Zoo. Freddy betrachtete sie, als wäre sie ein merkwürdiges wildes Tier.
Sie probierte es mit einer anderen Methode. »Ich habe dir Vierteldollars mitgebracht«, sagte sie. »Für die Automaten.« Sie hielt die Münzen hoch, den einzigen materiellen Trumpf, den sie hatte.
Er legte den Kopf schief und erwiderte nichts.
»Er hatte gar nicht die Absicht, mit mir zu reden«, sagte Meredith zu Connie. »Er hatte nicht vor, sich zu erklären, mir Antworten zu geben, mir irgendwas zu geben. Es interessierte ihn nicht, ob ich ins Gefängnis komme. Es interessierte ihn nicht, ob Leo ins Gefängnis kommt.«
»Er ist ein Scheißkerl, Meredith.«
Meredith nickte. Das hatte sie schon von sehr vielen Leuten gehört. Ihre Anwälte hatten dasselbe gesagt. Sogar Richard Cassel, Freddys Anwalt, hatte es draußen im Flur vor Merediths Vernehmung zu ihr gesagt. Du wusstest doch schon bei eurer Hochzeit, dass er ein Scheißkerl ist. Aber so einfach war es nicht. Freddy war in den dreißig Jahren ihrer Ehe vieles gewesen, nur kein Scheißkerl. Freddy war intelligent und charmant, wenn auch so erfolgshungrig wie sonst niemand, den Meredith kannte. Und er hatte stets klargestellt, dass Meredith Teil seiner Erfolgsgeschichte war. Wie oft hatte er gesagt, sie sei sein Hauptgewinn, ohne sie sei er nichts? Sie ihrerseits hatte
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