Inselglück
ihr wüsstet!
Burt und Dev hatten sich von Gefängnisbeamten bestätigen lassen, dass Freddy Delinn sich komplett verschlossen hatte. Auch der Psychologe brachte ihn nicht zum Sprechen. Fred redete mit niemandem.
»Manchmal setzen Häftlinge das als eine Art Kontrolle über ihre Wärter ein«, meinte Burt. »Er ist wie dieser Indianer in Einer flog über das Kuckucksnest. «
Er ist also absichtlich verstummt, dachte Meredith. Was nicht mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu verwechseln war. Er zog die Chief-Bromden-Nummer ab. Hatte Freddy Einer flog über das Kuckucksnest überhaupt gelesen?
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte Meredith. »Freddy ist der Einzige, der mir helfen könnte, und er tut es nicht.«
»Vergiss Freddy. Du wirst dir selber helfen müssen.«
In dieser Nacht konnte Meredith nicht schlafen. Verdammter Freddy, dachte sie (eintausendzwei). Und doch war sie krank vor Sorge um ihn. Allmählich würde er sich an die Schrecken seines neuen, unglaublich dauerhaften Zuhauses gewöhnen. Wie sah es da aus? Wie roch es? Was gaben sie ihm zu essen? Wo ging er auf die Toilette? Wo duschte er?
Und wie ging es den Jungen? Meredith hatte die Art Häuser gesehen, die Carver renovierte – am liebsten prächtige viktorianische Villen in traurigem, baufälligem Zustand. Er riss Teppichböden heraus und schliff die lange darunter versteckten Dielen ab. Er stöberte in Läden, die auf Architekturtrödel spezialisiert waren, nach gläsernen Türknäufen und Buntglasfenstern. In Merediths Fantasie wohnten die Jungen in so einem Haus; es roch nach Isolierschaum, und alle Flächen waren mit Sägemehl bedeckt. Carver hängte Türen ein, während Leo auf einem alten Sofa lag und mit Julie Schwarz telefonierte. Meredith wusste, dass die Beamten seinen Computer beschlagnahmt hatten und versuchten, Deacon Rapps Behauptungen zu untermauern und Leo mit den Dieben vom sechzehnten Stock in Verbindung zu bringen. Gleichzeitig versuchten sie, Mrs Misurelli in Italien ausfindig zu machen, damit sie sie befragen konnten. Sie war dort oben anscheinend der Wachposten gewesen. Dass gegen ihn »ermittelt« wurde, bedeutete in diesem Fall für Leo langes Herumsitzen und Warten. Vielleicht half er in seiner Freizeit – und davon hatte er jede Menge – Carver, Wände zu streichen oder das Dach zu decken oder das Mauerwerk der acht Kamine neu zu verfugen. Meredith war sich sicher, dass auch Anais mit von der Partie war. Sie hielt fest zu Leo und würde den Jungen ihre berühmten Gemüse-Enchiladas servieren und eifersüchtig werden, weil Leo so viel mit Julie Schwarz telefonierte.
Wenn Meredith sich das Leben ihrer Söhne so vorstellte, ging es ihr recht gut, obwohl Leo dazu neigte, Gespenster zu sehen, und sie annahm, dass er unruhig schlief. Als Kind war er jahrelang nachts in Merediths und Freddys Schlafzimmer gekommen, weil er Angst vor der Dunkelheit gehabt und immer wieder von einem bösen Pelikan geträumt hatte. Jetzt war der böse Pelikan real: Er war Deacon Rapp, er war das FBI , er war Freddy. Vor Merediths geistigem Auge blitzten ständig Bilder von Leo im Gefängnis auf, kahlrasiert, Tag und Nacht verfolgt von seinen Mitinsassen. Leo war erst sechsundzwanzig.
Furcht packte sie und schnürte ihr so fest die Kehle zu, wie es nur mitten in der Nacht in einem fremden Haus möglich war. Nehmt mich, dachte Meredith. Aber nicht meinen Sohn.
In einem hatte Connie recht gehabt: Meredith würde sich und den Jungen selber helfen müssen.
Doch wie?
Am nächsten Morgen kündigte Connie an: »Ich fahre nach Sconset und hole Muffins und die Zeitung. Und eine Kiste Wein.«
Meredith nickte und mühte sich, nicht wie ein ungeduldig hechelnder Hund zu wirken. Lass mich nicht allein hier, dachte sie. Bitte.
»Ich weiß, dass du mitkommen möchtest«, sagte Connie. »Aber Sconset ist ein winziges Dorf, und jeder Sommergast ist dort schon seit Ewigkeiten Sommergast. Fremde werden genau unter die Lupe genommen. Irgendjemand wird dich garantiert fragen, wer du bist. Der Supermarkt ist ein Miniladen. Also wirst du hierbleiben müssen. Wir wollen doch nicht, dass jemand … «
»Stimmt«, flüsterte Meredith. »Ich weiß.«
»Ich bin nicht lange weg«, sagte Connie.
Meredith nahm sich eine Auswahl alter Bücher von Connie mit hinaus auf die Terrasse. Sie würde sich in die Sonne setzen und lesen; das war im Sommer so üblich, und das hatte Meredith in all den Jahren in Southampton tagelang gemacht. Sie hatte an ihrem
Weitere Kostenlose Bücher