Inselglück
der Hand hatte und am Lenkrad des Wagens saß – und dann flüchtete sie aus Connies Leben.
Teilweise war es ein Fluch, eine Tochter zu haben, die Ärztin war. Als bei Wolf Prostatakrebs diagnostiziert wurde, hatte Ashlyn gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen und ihre Assistenzzeit in der Kinderonkologie am Washington Cancer Institute begonnen. Wolf litt unter Symptomen und ignorierte sie; seine Arbeit beanspruchte ihn zu sehr, und obwohl er sehr stolz war auf die Erfolge seiner Tochter, ging er nicht gern zum Arzt. Er wollte, dass sein Körper sich selbst heilte, wie unangenehm das auch sein mochte. Das hatte in den Jahrzehnten seiner Ehe mit Connie bei Magenverstimmungen, Ohrinfektionen und Erkältungen auch funktioniert. Das Problem mit Wolfs Prostata präsentierte sich allerdings ein wenig anders, da es ihr Liebesleben beeinträchtigte. Connie war erleichtert, als Wolf einen Termin bei einem Urologen vereinbarte, und dann alarmiert, als festgestellt wurde, dass er ein Prostatakarzinom hatte. Aber der erste Onkologe, den sie aufsuchten, versicherte ihnen gelassen, dass eine Bestrahlung helfen werde. Sie werde Wolf ermüden, und eine Zeitlang werde er unter Inkontinenz leiden und sexuell nicht aktiv sein können.
Ashlyn war eingeweiht und mit dem Behandlungsplan der Ärzte einverstanden. Sie und Wolf führten private Telefongespräche über seine Krankheit, und das machte Connie nichts aus. Ashlyn hatte einen nagelneuen Doktorgrad, und mit dem wollte sie brillieren. Sie wusste weit mehr über entartete Zellen als Connie, wenn auch Prostatakrebs nichts war, was sie in der Kinderonkologie zu Gesicht bekam. Connie und ihre Tochter erörterten Wolfs Krankheit nur sehr allgemein, weil es sich um Prostata krebs handelte und Connie fand, dass er, obwohl Ashlyn Ärztin war, ein Recht auf Diskretion hatte.
Wie vorausgesagt verschwand der Tumor nach der Strahlentherapie. Wolf musste ungefähr vier Monate lang Windeln tragen, und wenn sie ins Theater gingen, hatte Connie eine Windel in ihrer Handtasche, die sie Wolf heimlich zusteckte, bevor er die Toilette aufsuchte. Es war eine demütigende Erfahrung für Wolf, aber doch ein niedriger Preis für seine Gesundung.
Und dann kehrte das Leben zur Normalität zurück. Wolf erhielt vom amerikanischen Architektenverband einen Preis für ein Gebäude, das er für das Studentenwerk der Catholic University entworfen hatte, und darauf folgten drei riesige Aufträge, unter anderem einer für den Entwurf und Bau des Hauptquartiers der Veteranenhilfsorganisation in Washington. Wolf war nie besser im Geschäft gewesen, doch er und Connie wussten, dass dieses Werk und seine Einkünfte daraus wahrscheinlich den strahlenden Höhepunkt seiner Karriere darstellen würden. Sie hatten fast drei Millionen Dollar bei Delinn Enterprises investiert, und ihr Kapitalzuwachs war exponentiell – die Rendite betrug bis zu 29 Prozent – , und das vermittelte ihnen zusammen mit der Auszeichnung, den Aufträgen und Wolfs wiederhergestellter Gesundheit ein Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden.
Zum ersten Mal sah Wolf verschwommen, als Ashlyn eine Freundin namens Bridget mit nach Hause brachte.
Ashlyn und Bridget lebten beide in Adams-Morgan, keine halbe Stunde entfernt von Wolf und Connie in Bethesda, aber sie wollten übers Wochenende bleiben. Connie, die glaubte, dies sei eine »Flucht aufs Land« von zwei überarbeiteten, gestressten Assistenzärztinnen, gab sich große Mühe, das Haus einladend zu gestalten. Sie bezog die Betten in beiden Gästezimmern und stellte Glasvasen mit Dahlien auf die Nachttische. Sie backte Cranberrymuffins und schmorte Rinderrippchen, die sie mit Pilzen und Reis servieren wollte. Sie betankte den Aston Martin und zeichnete die Strecke zum größten Kürbisfeld im Staat Maryland auf. Außerdem hatte sie zwei Romane gekauft, die in der Washington Post Book World gelobt worden waren, und einige Neuerscheinungen aus der Videothek ausgeliehen.
Was Connie nicht getan hatte, war, darüber nachzudenken, was dieser Besuch von Ashlyn und ihrer besten Freundin wohl bedeuten mochte – bis sie die beiden mit ihren Reisetaschen Hand in Hand auf das Haus zukommen sah. Bis sie sah, wie sie mitten auf dem Backsteinweg, der zur Tür führte, stehen blieben, sich vertraulich etwas zuflüsterten – bestimmt versicherte Ashlyn Bridget, dass das Wochenende schön werden würde, dass ihre Eltern aufgeschlossen, tolerant, liberal, eingetragene Demokraten und gegen den Krieg seien –
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