Inselglück
und dann küssten.
Connie beobachtete sie vom Fenster aus. Sie hatte sich auf ihre Ankunft gefreut. Und jetzt war es, als wäre ihr Herz eine Teetasse, die zu Boden fiel und zerschmetterte.
Ashlyn und Bridget waren ein Liebespaar. Ashlyn hatte ihre Eltern nicht übers Wochenende besuchen wollen, um es ihnen zu erzählen, sondern um es ihnen zu demonstrieren.
Connie richtete sich kerzengerade auf. Sie probierte ein paar freundliche Mienen aus, ehe sie die Tür öffnete. Sie hätte gern mit Wolf geredet, doch der war bei der Arbeit. Seine Aufträge erforderten permanent Überstunden, und obwohl Connie sich bisher nicht beklagt hatte, fühlte sie sich jetzt im Stich gelassen und war voller Groll. Sie brauchte Wolf hier. Er hätte aufpassen müssen, dann hätte er Connie vielleicht auf diese Möglichkeit vorbereiten können. War ihre Tochter, ihr einziges Kind, lesbisch? Ja, anscheinend. Allerdings neigten Mädchen, dachte Connie, eher zu sexuellen Experimenten, oder? Die Zeit zum Grübeln wurde knapp; Connie hörte schon die Schritte der Mädchen auf der Treppe, die zur Haustür führte. Sie hörte Ashlyn kichern. Das hier bedeutete nicht, dass es in dem Haus auf Nantucket nie die Hochzeit geben würde, die sie sich immer erträumt hatte. Es bedeutete nicht, dass sie nie Enkel haben würde. Connie war liberal, sie war tolerant. Sie hatte in Villanova Kurse zu Frauenthemen belegt; sie hatte Audre Lord und Angela Carter und Simone de Beauvoir gelesen. Aber durfte sie trotzdem sagen, dass dies nicht das war, was sie sich erhofft hatte? Dies – Connie öffnete die Tür und sah Ashlyn und Bridget nebeneinander, nervös grinsend – hatte sie sich ganz und gar nicht gewünscht.
Nach eigener Einschätzung hätte sie eine 1+ für ihre Bemühungen verdient. Connie lächelte und umarmte Bridget und herzte sie, als wäre sie ein goldiges Kätzchen, das Ashlyn mitgebracht hatte. Bridget war Irin; sie kam aus dem County Mayo und hatte etwas Elfenhaftes an sich – schwarze, zu einer modischen Kurzhaarfrisur geschnittene Haare, Sommersprossen und dieser Akzent, der Connie trotz der Umstände entzückte. Sie war witzig und Ashlyn zufolge hochintelligent, genau die Art von Mädchen, die Connie sich für einen Sohn erhofft hätte.
Connie verwöhnte die beiden mit Hafermehl-Schokoladenkeksen – Ashlyns Lieblingsgebäck – und einer Kanne Tee (die Geliebte war Irin) und plapperte drauflos wie eine Idiotin. Eine idiotische Mutter, die nichts von der sexuellen Präferenz ihres eigenen Kindes gewusst hatte. (Hatte es Hinweise gegeben, die ihr entgangen waren? An der Highschool und am College und auch noch während des Medizinstudiums hatte Ashlyn mit Sicherheit Freunde gehabt. Wolf hatte einmal einen jungen Mann erwischt, der mitten in der Nacht über das Rosenspalier zu Ashlyns Zimmer hochgeklettert war, und das bestimmt nicht, wie Wolf damals wütend geschrien hatte, um Mau-Mau zu spielen!) Connie wusste, dass sie leicht zu durchschauen war – zumindest für Ashlyn – , und verspürte Dankbarkeit, als Ashlyn verkündete, sie und Bridget würden jetzt hinaufgehen in »ihr« Zimmer, um auszupacken. Das gab Connie die Gelegenheit, sich in das Allerheiligste ihres Schlafzimmers zu flüchten, wo sie Wolf anrief, um ihm die Neuigkeiten mitzuteilen.
Er lauschte, bemerkte jedoch nichts dazu, sondern sagte bloß: »Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht unpassend, aber ich habe grauenhafte Kopfschmerzen. Der Druck in meinem Schädel ist so stark, dass es sich anfühlt, als ob mir Hörner wachsen. Können wir darüber reden, wenn ich zu Hause bin?«
Abends saßen sie zu viert um den Esszimmertisch und aßen die üppige Mahlzeit, die Connie zubereitet hatte, und Ashlyn und Bridget sprachen über die Reise, die sie nach London, Wales, Schottland und schließlich Irland machen wollten, um Bridgets Familie zu besuchen.
Damit noch eine Mutter ihre Träume begraben kann, dachte Connie.
Was sie aber sagte, war: »Das hört sich toll an, Mädels!«
Ashlyn runzelte die Stirn, wahrscheinlich wegen der Anrede »Mädels«. Warum infantilisierte Connie sie? Warum nannte sie sie nicht »Frauen« oder, besser noch, »Leute«? Doch Connie half es, sie als unschuldige Mädchen zu sehen: Ashlyn mit ihren langen blonden Haaren, die sie offen trug bis auf eine geflochtene Strähne, die ihr Gesicht rahmte und ihr das Aussehen eines Renaissance-Fräuleins verlieh, und Bridget mit ihrer glänzend schwarzen Haarpracht und dem koboldhaften Lächeln. Sie
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