Inselkönig
Boxen, die in Reih und Glied standen und die
Abfallbehälter beherbergten, und auf die Straßenlaterne, die wahrscheinlich
schon länger schief stand und mit mildem Schein die verschneite Straße
ausleuchtete.
In dem Haus wohnten sechs Parteien. Jede hatte ihren
Namen in einer individuellen Weise auf dem Klingelschild angebracht,
handschriftlich, mit Dymodruck oder – wie die Familie Frederiksen – per
Tintenstrahldrucker.
Bente Frederiksen erwartete sie in der mittleren
Etage. Sie sah den beiden Beamten mit großen Augen entgegen und verbarg ihre
Überraschung über diesen Besuch gar nicht erst.
»Mein Mann ist da«, sagte sie mit stockender Stimme,
als wäre das eine Entschuldigung dafür, dass sie die Beamten nicht einlassen
wollte.
»Das trifft sich gut«, erwiderte Große Jäger. »Mit dem
möchten wir sprechen.«
»Warten Sie bitte.« Die junge Frau ließ die beiden im
Treppenhaus stehen. Immerhin schloss sie nicht die Wohnungstür.
Ein an der Decke montierter Teller mit drei
Halogenstrahlern tauchte den Flur in ein kaltes Licht. Auf dem Laminat lag ein
Läufer, der in der Mitte deutliche Spuren einer intensiven Nutzung aufwies. Ein
kleiner Schuhschrank schien nicht alle Fußbekleidungen der Familie aufnehmen zu
können. Wahllos standen davor und daneben weitere Schuhe. Christoph konnte auch
Kinderstiefel entdecken.
»Wir haben gar nicht gefragt, ob die beiden Nachwuchs
haben«, raunte er Große Jäger zu.
»Donnerlüttchen. Dann war Thies Nommensen nicht nur
ein stolzer, sondern auch ein geiler Großvater«, antwortete Große Jäger ebenso
leise. »Auf jeden Fall war er Opa. Auch das hat man uns bisher vorenthalten.«
»Wie so vieles«, bestätigte Christoph und wunderte
sich, dass die Wandgarderobe bei der Menge von schweren Jacken nicht aus den
Dübellöchern riss.
Bengt Frederiksen kam aus einem der Räume mit den
dunklen Türen aus Nussbaum. »Was gibt’s?«, fragte er unfreundlich.
»Dürfen wir hineinkommen?«, bat Christoph.
»Ziehen Sie aber die Schuhe aus.«
Erneut kam Christoph in den Genuss, die Löcher in
Große Jägers Wollsocken zu betrachten. Ein wenig unangenehmer war der strenge
Geruch, der von den Füßen des Oberkommissars ausging.
Das Wohnzimmer war schlicht und einfach möbliert. Die
Einrichtung machte auch auf den zweiten Blick den Eindruck, als würde sie aus
beklebtem Pappmaschee bestehen. Alles wirkte düster und trostlos. So hatte sich
Christoph die Unterkunft der einzigen Tochter des Inselkönigs nicht
vorgestellt. Sicher, es war sauber und wies die Handschrift einer tüchtigen und
ordentlichen Hausfrau auf, aber es fehlte jede Spur von Behaglichkeit.
Bente Frederiksen kauerte in einem Sessel mit ersten
Verschleißerscheinung im orangefarbenen Polster und hielt ein Kind in ihren
Armen, das den Kopf in der Schulter der Mutter verborgen hielt.
»Oluf, unser Sohn«, erklärte Bengt Frederiksen und
zeigte auf das Sofa.
Christoph nahm noch ein besticktes Sofakissen zur
Seite, bevor sich Große Jäger mit seiner schmutzigen Jeans darauf fallen lassen
konnte.
»Man munkelt, dass Sie gegen den Widerstand Ihrer
Mutter geheiratet haben«, wandte sich Christoph an Bente Frederiksen.
»Das ist nicht wahr«, sagte sie leise.
»Es wäre ja auch schade gewesen«, schaltete sich Große
Jäger ein. »Bengt und Bente. Das passt nicht nur, das klingt fast romantisch.«
»Was soll dieser Zynismus?«, schalt ihn der junge
Mann.
»Klingt das in Ihren Ohren so? Im Unterschied zu Ihrer
Schwiegermutter scheint Thies Nommensen große Stücke auf Sie gehalten zu haben.
Immerhin hat er Ihnen das Studium finanziert.«
»Das hat nichts mit meiner Familie zu tun.«
»War es eine Entschädigung dafür, dass Nommensen zuvor
den Betrieb Ihres Vaters in den Ruin getrieben hat?«
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass das nichts
mit meinem Schwiegervater zu tun hatte. Es war einfach nur das Unvermögen
meines Erzeugers.«
Bente Frederiksen griff nach der Hand ihres Mannes, um
diese zu halten, doch der zog seine ostentativ zurück.
»Mein Vater hat mich in meinem Wunsch bestärkt«, sagte
sie und warf ihrem Mann dabei einen schüchternen Seitenblick zu. »Er mochte
Bengt. Er hat nicht nur das Studium finanziert, sondern uns auch eine erste
Existenzgrundlage geschaffen.«
Instinktiv ließ Christoph seinen Blick durch das
Zimmer schweifen. Bente Frederiksen bemerkte seine Rundschau. Eine leichte Röte
überzog das Gesicht der jungen Frau. »Es gehört zu den Prinzipien meines
Vaters,
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