Inselkönig
standen in großen schwarzen Lettern Name und Anschrift von Jens
Hellberg, einem ortsansässigen Rechtsanwalt und Notar.
Vorsichtig blätterte Große Jäger um.
»Treuhandvertrag«, las er vor. Es folgten Name,
Geburtsdatum und Anschrift eines Niebüller Steuerberaters sowie die
persönlichen Daten des Mordopfers.
Die beiden Beamten überflogen den Vertrag. Darin
verpflichtete sich der Steuerberater, im Namen Thies Nommensens treuhänderisch die
Mehrheit des Stammkapitals an der Innig & Raub GmbH, Immobilienmakler, zu
halten.
»Was bedeutet das?«, fragte Große Jäger.
»Das heißt, die beiden Herren sind nur Strohpuppen. Im
Handelsregister werden wir finden, dass die Mehrheit der Geschäftsanteile dem
hier genannten Steuerberater gehört. Und dieser Vertrag wiederum besagt, dass
der Steuerberater nur nach außen als Gesellschafter auftritt. In Wirklichkeit
steckt Thies Nommensen dahinter. Aber ohne diesen Treuhandvertrag hätten wir es
nie entdeckt.«
»Das ist ja Betrug«, ereiferte sich Große Jäger.
Christoph schüttelte den Kopf. »Das magst du so
empfinden, aber es ist ein legaler Betrug. Vielleicht an der Grenze der
Legalität.«
»Dann hat Nommensen über diesen Weg doch die Provision
abgeschöpft, die er sonst beim Verkauf seiner Objekte nicht hätte berechnen
dürfen.«
»So funktioniert diese Welt, zumindest in gewissen
Kreisen«, konstatierte Christoph. »Ist das der Koffer, den Ihr Vater in
Nommensens Auftrag von der Vogelkoje holen sollte?«
»Ich weiß es nicht.« Bengt Frederiksen klang fast eine
Spur weinerlich.
»Hat Ihr Vater Ihnen diesen Koffer ausgehändigt,
während er uns weismachen wollte, er wisse nicht, wo er abgeblieben ist?«
»So war das nicht. Lassen Sie meinen Vater aus dem
Spiel. Diesen Koffer habe ich heute Morgen in Thies’ Büro gefunden. Er stand
neben dem Schreibtisch.«
»Und das sollen wir Ihnen abnehmen?« Große Jäger
musterte Frederiksen aus zusammengekniffenen Augen.
»Es war wirklich so. Ehrlich.«
Große Jäger schüttelte seinen Kopf. »An das Wort ›ehrlich‹
mag ich in Zusammenhang mit diesem Fall nicht mehr glauben. Hier lügen alle,
dass sich die Balken biegen.«
Frederiksen protestierte nicht, als die beiden Beamten
den Koffer und das Dokument mitnahmen.
FÜNF
Das tief verschneite Wyk bot einen ebenso seltenen wie
friedlichen Anblick.
»Mich würde nicht wundern, wenn uns jetzt der
Weihnachtsmann begegnen würde«, stellte Große Jäger auf der Rückfahrt zum
Gästehaus fest, in dem Anna und Christoph Quartier gefunden hatten.
Sie wurden von Anna und Mommsen erwartet.
»Was ist das für eine Arbeitsmoral?«, stichelte Große
Jäger und knuffte Mommsen freundschaftlich in die Seite. »Lernt man das bei den
faulen Westfalen in Münster auf der Polizeihochschule?«
Mommsen packte den Oberkommissar am Oberarm und zerrte
ihn vor einen Spiegel. »Was siehst du?«, fragte er.
Große Jäger verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Einen schönen Menschen«, stellte er fest.
»Ich meine nicht mich, sondern was sonst noch?«
»Sagte ich doch. Wenn ich mein Spiegelbild
sehe, dann ist da ein schöner Mensch.« Große Jäger versuchte, sich im Stil
einer Bauchtänzerin zu bewegen, was bei den anderen Anwesenden in Anbetracht
seines Schmerbauchs einen Lachsturm auslöste.
»Falsch kombiniert. Du siehst ein westfälisches
Urgestein«, erklärte Mommsen, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.
»Genau.«
»Was hattest du eben über die faulen Westfalen
angemerkt?« Dann floh er vor dem Oberkommissar, der tat, als wollte er auf
Mommsen einprügeln.
»Wie gut, dass wir nicht mehr so kindisch sind«, sagte
Christoph und nahm Anna in den Arm.
Sie wand sich heraus, machte eine Schnute und
grummelte gespielt: »Das war ein toller Urlaubstag. Wo hast du dich den ganzen
Tag herumgetrieben?«
»Ich habe hart und schwer gearbeitet. Statt mir die
Pantoffeln zu bringen, wie es sich für eine brave Frau gehört, flirtest du mit
meinem Kollegen.« Er lachte dabei in Mommsens Richtung, wurde aber durch das
laute Knurren von Große Jägers Magen abgelenkt.
»Hat das Krankenhaus auch abends geöffnet?«, fragte
der Oberkommissar. »Wenn ich nicht gleich etwas zu essen bekomme, gibt es den
nächsten Todesfall. Morgen kann ich erst den Dienst beginnen, wenn ich
Hosenträger gekauft habe, so viel habe ich heute abgenommen.«
»Wir fahren nicht zum Essen. Harm und ich haben
eingekauft. Es gibt Fingerfood und andere Leckereien. Wir haben mehrere Läden
abgeklappert,
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