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Inselkönig

Inselkönig

Titel: Inselkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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Einzelteile. Was uns fehlt, ist der übergeordnete Zusammenhang.«
    »Ich bewundere dich«, schloss Große Jäger das Gespräch
ab und legte sein Kinn auf die Handflächen, nachdem er die Ellenbogen auf der
Tischplatte abgestützt hatte. Er wartete vergeblich auf Christophs Entgegnung.
Deshalb schob er hinterher: »Wo sonst gibt es Hauptkommissare mit einer
philosophischen Ader? Schade, dass du nicht mit der Weisheit des Buddhismus
gesegnet bist.«
    »Du hast ohnehin ein gespaltenes Verhältnis zur
behördlichen Hierarchie.«
    »Es ist gut, dass der Scheiß-Starke uns nicht mehr ins
Handwerk pfuschen kann«, stellte Große Jäger fest.
    » Die Starke«, erwiderte Christoph mit einem
süffisanten Lächeln und ergänzte, als ihn der Oberkommissar fragend ansah:
»Eine Starke ist eine Färsin oder Kalbin. Du kannst auch Sterke sagen.«
    Große Jäger war anzusehen, dass er Christoph nicht
folgen konnte. »Was willst du damit sagen?«, fragte er schließlich, als
Christoph keine Anstalten unternahm, seine Erklärung fortzusetzen.
    »Das ist ein geschlechtsreifes weibliches Hausrind.
Erst nach der Besamung und der Abkalbung ist die Bezeichnung ›Kuh‹ korrekt.«
    Der Oberkommissar grinste breit. »Dann ist
›Scheiß-Starke‹ doch richtig. Was würde auf die Menschheit zukommen, wenn der
Starke abkalben würde?«
    Christoph schüttelte den Kopf. »Deine Kommentare sind
manchmal von recht deftiger Natur.«
    »Wie der Eintopf in meiner westfälischen Heimat.«
    »Ich dachte immer, du hast dir Nordfriesland zur
Heimat auserkoren.«
    Der Oberkommissar fuhr sich mit der Hand nachdenklich
über sein Kinn, dass die Bartstoppeln knisterten. »Ein besonderer Mensch wie
ich hat eben zwei Heimats. Oder heißt das Heimaten?« Als er keine Antwort
erhielt, fuhr er fort: »Ist ja egal. Wir haben dich für das Schreiben der
Protokolle. Du wirst schon die richtige Formulierung finden.« Er fuhr sich fast
andächtig mit beiden Händen über seinen Schmerbauch. »Was kümmert mich die
Mehrzahl von Heimat. Ich bin Plural genug.« Er schrak auf, als sich sein
Telefon meldete. »Tante Hilke«, sagte er leutselig. »Was gibt’s? Brennt Husum?«
Dann lauschte er in den Hörer.
    Christoph sah, wie sich die Miene des Oberkommissars
verfinsterte. Der Adamsapfel hüpfte auf und ab, was trotz Doppelkinn deutlich
erkennbar war. Stumm hörte er zu, dann schob er sein Handy zusammen, ohne ein
weiteres Wort verloren zu haben, und verstaute es in der Hosentasche. Starr sah
er an Christoph vorbei auf einen imaginären Punkt an der Wand.
    Christoph konnte deutlich den feuchten Schimmer in
Große Jägers Augen erkennen. So hatte er den Oberkommissar noch nie gesehen. In
den gemeinsamen Jahren hatte er bei zahlreichen Gelegenheiten erlebt, dass sich
hinter der rauen Schale ein weicher Kern befand und Große Jäger manchmal beim
Abwägen zwischen menschlichen und formal korrekten Möglichkeiten sich nicht
immer für die vom Gesetz vorgegebene Variante entschied, aber diese Reaktion
war neu.
    Christoph spürte, wie sich ihm selbst der Magen
zuschnürte. Er hatte Hilke Haucks Nachricht verstanden, auch wenn er selbst sie
nicht gehört hatte. Polizeidirektor Johannes Grothe, den alle nur »den Chef«
genannt hatten, hatte seinen Ruhestand nur ein knappes Jahr genießen dürfen.
    Christoph stand auf, stellte sich neben Große Jäger
und nahm den Oberkommissar in den Arm. Er empfand diese Haltung nicht als
lächerlich oder gar unmännlich. Niemand musste ein Wort verlieren, jeder
wusste, was dieser knorrige Mann mit der ewig glimmenden Zigarre und dem großen
rotgesichtigen Kopf für die Husumer Polizeibeamten bedeutet hatte. Christoph
hielt Große Jäger einfach fest. Was hätte er ihm sagen sollen? Abgesehen davon
fehlten ihm in diesem Moment auch die rechten Worte.
    Christoph hatte das Zeitgefühl verloren. Er wusste
nicht, wie lange er mit Große Jäger im Raum gesessen und jeder still seinen
eigenen Gedanken nachgehangen hatte. Es war wie eine willkommene Abwechslung,
als Hauptkommissar Thomsen in das Zimmer gestürmt kam.
    »Wir haben einen Notruf von Reimer Matzens Hof
erhalten«, sagte er. »Wollt ihr mit?«
    Christoph und Große Jäger sprangen auf und folgten
Thomsen, der zu seinem bereits im VW Bulli wartenden Kollegen sprang.
    »Die Meldung war diffus«, erklärte der Hauptkommissar.
»Reimer Matzen selbst hat angerufen. Er sagte, da wäre jemand auf seinem
Anwesen eingedrungen und es hätte eine Auseinandersetzung mit

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