Inselkönig
zwei Jahren. Am letzten Augustwochenende«,
antwortete Wiebke Frederiksen prompt. Die Präzision der Antwort bestärkte
Christoph in der Vermutung, dass Wiebke Frederiksen der Kontakt zu ihrer
Vergangenheit doch nicht so gleichgültig schien, wie sie vorgab.
»Bengt hat Sie über den gewaltsamen Tod seines
Schwiegervaters informiert?«
»Wir haben in den letzten Tagen häufig telefoniert.
Trotzdem glaube ich nicht, Ihnen helfen zu können.«
»Es geht um Vorkommnisse zu der Zeit, als Sie noch auf
Föhr gelebt haben.«
Wiebke Frederiksen antwortete nicht. Christoph deutete
es als Zustimmung.
»War Thies Nommensen der Auslöser für die Insolvenz
des Bauunternehmens Ihres Mannes?«
»Nein«, antwortete sie hastig.
»Das klingt nicht sehr überzeugend.«
»Das hatte andere Gründe.« Sie seufzte vernehmlich am
Telefon. »Es gab Zerwürfnisse zwischen Ingwer und mir.«
»War Thies Nommensen der Grund?«
Sie antwortete erneut mit einem hastigen »Nein!«,
bevor sie nach einer Pause ergänzte: »Es kommt sicher in hundert Ehen vor, dass
man sich im Laufe der Jahre auseinanderlebt. Das ist ein schleichender
Prozess.«
In diesem Punkt konnte Christoph ihr nicht
widersprechen. Er hatte die gleichen Erfahrungen gemacht. »Irgendwann kommt der
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt«, baute er ihr eine Brücke.
»Genau. Ich habe Ingwer Frederiksen verlassen.«
»Und Ihren Sohn?«
»Auch den«, antwortete sie gedehnt nach einem Zögern.
»Es war kein Hass, kein tiefer Streit, niemand von uns hatte einen anderen
Partner. Aber … Es ging nicht mehr. Es war der Alltag, der uns
auseinandergebracht hat. Der verflixte Alltag.«
»Wie sind Sie nach Gelnhausen gekommen?«
»Entweder mit dem Zug oder dem Auto«, raunte Große
Jäger, der das Gespräch mithörte, Christoph mit einem breiten Grinsen zu.
»Wie viele andere Insulaner auch haben wir
Fremdenzimmer vermietet. Ein Ehepaar aus Gelnhausen hatte sich eine Reihe von
Jahren bei uns einquartiert. Daraus ist zunächst eine Bekanntschaft und später
zwischen uns Frauen eine Art Freundschaft erwachsen. Als ich nach einer
vorübergehenden Bleibe Ausschau hielt, habe ich die beiden angerufen. Ich habe
zunächst als Aushilfe in ihrem Laden mitgeholfen und das Geschäft im letzten
Jahr übernommen, nachdem die beiden sich aus Altersgründen zurückgezogen
hatten.«
»Sind Sie eine neue Partnerschaft eingegangen?«,
fragte Christoph.
»Ist das wichtig?«
»Die Beantwortung meiner Frage wäre für die
Einschätzung der Gesamtsituation von Bedeutung.«
»Partnerschaft würde ich es nicht nennen. Es gibt hier
im Ort einen netten Herrn. Wir treffen uns gelegentlich und führen gute
Gespräche.«
»War die Insolvenz Ihres Mannes einer der Gründe,
weshalb Sie Föhr verlassen haben?«
Ihre Stimme klang bedrückt, als sie antwortete: »Ich
habe eine schwere Zeit hinter mir, geplagt von Selbstvorwürfen und Zweifeln.
Nein! Es war umgekehrt. Ich habe Ingwer und unseren Sohn verlassen. Das hat
mein Mann nicht verkraftet. Er fing an zu trinken und hat seine Arbeit
vernachlässigt. Da dauerte es nicht lange, bis das Kartenhaus zusammenfiel. Ich
weiß, dass ich an Ingwers derzeitiger Lage mitschuldig bin. Kaum jemand kann
sich vorstellen, wie es in mir aussieht.«
Christoph war nicht erstaunt darüber, wie freimütig
Wiebke Frederiksen ihr Herz ausschüttete. Er hatte es oft erlebt, dass Menschen
froh waren, wenn ihnen jemand zuhörte, wenn sie andere an einer vermeintlichen
eigenen Schuld teilhaben lassen konnten.
»Es ist ganz sicher, dass die Insolvenz eine Folge
Ihrer Trennung war?«
»Können Sie sich vorstellen, dass es mir um vieles
besser ginge, wenn das nicht der Fall wäre?« Wiebke Frederiksen holte hörbar
tief Luft. Dann vernahm Christoph, wie sie sich eine Zigarette anzündete. »So
war es. Und nicht anders.«
»Haben Sie irgendwann Überlegungen angestellt, zu
Ihrem Mann zurückzukehren?«
»Irgendwann? Das Thema verfolgt mich heute immer noch.
Nach vier Jahren.« Sie nahm zwei tiefe Lungenzüge. »Ingwer hat mich angefleht.
Er hat gebettelt. Haben Sie schon einmal einen großen, starken und
selbstbewussten Mann weinen hören? Ich konnte es nicht mehr ertragen und habe
das Telefon nicht mehr abgenommen. Ich bin wie ein Dieb durch die Hintertür
davongeschlichen, als er plötzlich bei mir in Gelnhausen vor der Tür stand. Bei
Gott! Hätte ich ihm in die Augen gesehen – ich wäre schwach geworden.«
»Das klingt so, als würden Sie Ihren Mann immer
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