Inselkönig
Frerk
Hoogdaalens Stirn schwollen die Adern dick an.
»Was hat Nommensen verbreitet?«, fragte Große Jäger
scheinbar beiläufig und widmete sich wieder dem Spiel mit der kleinen Johanna,
als würde ihn die Antwort überhaupt nicht interessieren.
»Dieser Mistkerl hat sich kalt lächelnd hingestellt
und gesagt, Johanna sei nur deshalb blöde – ja, sie ist blöde, hat er gesagt –,
weil ich sie im Suff gezeugt habe. Anders könne er sich nicht vorstellen, dass
ich mich an eine Frau wie Ute herangemacht hätte.«
Sie hatten viel über Thies Nommensen gehört, dachte
Christoph, aber das lag jenseits jeder Erträglichkeit. Als Polizist durfte man
sich nicht emotional bewegt fühlen, musste stets Distanz zu den mit dem Fall
verbundenen Personen halten, aber nirgendwo stand geschrieben, dass
Polizeibeamte jede menschliche Regung bei Dienstbeginn an der Garderobe
abzugeben hatten. Hoogdaalens waren einfache Leute, besonders der Ehemann. Aber
niemand durfte einen anderen so demütigen, wie es möglicherweise Nommensen
getan hatte. Das erklärte den abgrundtiefen Hass, den Johannas Vater auf den
Toten hegte. Reichte das, um irgendwann die Kontrolle zu verlieren und den
Urheber der Bösartigkeit zu ermorden?
Große Jäger musste Ähnliches gedacht haben. »Das ist
ein starkes Stück. Und da ist dir die Sicherung durchgebrannt.«
»Ja«, sagte Frerk Hoogdaalen, und ihm war die
Erleichterung anzumerken, dass er frei über die aufgestauten Gefühle reden
konnte. »Ich habe Nommensen zusammengeschlagen. Ihn umgebracht. Wie einen
räudigen Hund habe ich ihn totgeschlagen. Ersäuft. Erwürgt. Immer wieder. Jede
Nacht.«
Ute Hoogdaalen, die immer noch hinter ihrem Mann
stand, nahm dessen Kopf zwischen ihre Hände. Dann legte sie ihren Kopf auf den
seinen. »Lass gut sein, Frerk«, flüsterte sie. »Alles wird gut. Thies ist tot.
Er hat seine gerechte Strafe bekommen und muss sich für all das, was er den
Menschen in seiner Umgebung angetan hat, vor seinem Schöpfer rechtfertigen. Wie
wir alle uns für unsere Taten einst verantworten werden müssen.«
Frerk Hoogdaalen begann, leise zu weinen. Er machte
keinen Versuch, die Tränen zu unterdrücken. »Dieses Schwein«, schluchzte er,
»der hat unser ganzes Leben zerstört.«
Ute Hoogdaalen summte eine einfache Melodie, während
ihr Kopf immer noch auf dem Frerk Hoogdaalens lag. »Es wird alles gut werden.
Alles! Jetzt ist es vorbei. Hörst du, Frerk? Alles ist vorüber. Uns kann nichts
mehr passieren. Thies ist tot. Und wir schaffen es, wir drei.« Sie löste sich
von ihrem Mann, nahm die kleine Johanna auf den Arm und kuschelte sich mit dem
Kind an die Seite ihres weinenden Mannes.
»Alles wird gut«, wiederholte sie unablässig.
Christoph schien es, als würde die Familie Hoogdaalen
gar nicht bemerken, dass die beiden Polizisten auf leisen Sohlen das Haus
verließen.
Wer an diesem Tag eine Fotografie von Wyk aufnahm,
würde mit Sicherheit Probleme bekommen, den unnatürlich blauen Himmel zu
erklären. Es war ein fast unwirkliches Blau an diesem klaren Februartag.
Entsprechend kalt war es. Trotz der arktischen Temperaturen saß Mommsen in
Hemdsärmeln am Schreibtisch.
»Wir kommen gut voran«, begrüßte er Christoph und
Große Jäger bei deren Eintreffen auf der Polizeizentralstation. »Kiel hat sich
selbst übertroffen. Es gibt die ersten Ergebnisse aus der Rechtsmedizin. Die
sind aber vorläufig. Darauf legen die Kollegen Wert. Die genauen Analysen
werden erst in ein paar Tagen vorliegen. Als Indikation sind die Informationen
aber wertvoll.«
»Hast du das in Münster gelernt?«, fragte Große Jäger,
und als Mommsen ihn mit ratlosem Blick ansah, ergänzte er: »Die lange Vorrede.
Was ist los, Kind?«
»Wir haben vermutlich eine Erklärung dafür, weshalb
Nommensen sich fast widerstandslos an den Baum binden ließ. Der Mann war
hochgradig betrunken. Die Gegebenheiten am Tatort, die Kälte und die dadurch
auch unbestimmte Dauer des Todeskampfes lassen nur ungefähre Werte zu. Wir
können aber davon ausgehen, dass Nommensen mindestens zwei Promille im Blut
hatte.«
»Donnerwetter«, staunte Große Jäger. »Das ist in der
Tat eine Erklärung dafür, dass er sich kaum gegen seine Fesselung gewehrt hat.
Damit erübrigen sich auch unsere Überlegungen, unter welchen Drohungen und mit
welchen Mitteln man ihn gezwungen hat, still zu verharren.«
»Noch überraschender sind die DNA -Ergebnisse.«
»Die liegen schon vor?«, fragte Christoph. »Da hat
Kiel sich wirklich
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