Inselkoller
Suche
nach einer Fachkraft. Hinten, in der linken Ecke, standen zwei Frauen im Gespräch,
die anhand ihrer Kleidung unschwer als Verkäuferinnen auszumachen waren. Er sprach
die Erste an. Sie hatte ihre blondierten Haare zu einer Rolle am Hinterkopf eingeschlagen
und mit einer silberfarbenen Gemme festgesteckt.
»Darf ich Sie kurz stören? Wo finde ich hier
Coco Mademoiselle?«
Der falsche Blondschopf musterte ihn flüchtig.
»Vorne, am Fenster in der dritten Gondel hinten. Wenn Sie Hilfe brauchen, wenden
Sie sich vertrauensvoll an mich«, sagte sie und wandte sich wieder ihrer Kollegin
zu.
Jung sah sie irritiert an und machte sich allein
auf den Weg zur dritten Gondel. Er fand, was er suchte, und begab sich zur Kasse.
Die Blonde ließ nicht lange auf sich warten.
»Alles gefunden?«, bemerkte sie mehr, als dass
sie fragte.
»Ja. Geben Sie mir bitte auch Duschgel Boss
No. 1 dazu.«
Sie verschwand in einem der hinteren Gänge
und kam mit dem Gewünschten zurück.
»Alles?«
»Alles. Ich bezahle mit Kreditkarte.«
»Das geht aber nur mit der EC -Karte, nicht mit VISA , Mastercard oder
anderen Karten. Macht zusammen 105 Euro.«
»Darf ich mal sehen?«, fragte Jung erschrocken.
Sie reichte ihm widerwillig den Kassenbon. Jung nahm ihn entgegen und las erstaunt,
dass das Sonderangebot Boss No. 1, das er vorhin für fünf Euro am Eingang gesehen
hatte, jetzt mit 17 Euro berechnet war.
»Hier stimmt etwas nicht. Boss No. 1 ist im
Angebot zu fünf Euro.«
»Ja, da vorne, nicht bei mir.« Die Blondierte
sah ihn an, als ob er minderbemittelt sei.
»Na gut, dann gebe ich Ihnen das zurück und
hole mir das da vorn, wie Sie meinen.«
»Das geht nicht. Ich habe es schon getippt.«
»Stornieren Sie es.«
»Das geht nicht. Dies ist eine elektronische
Kasse.«
Jung wurde langsam ungeduldig.
»Wer kann denn eingreifen?«
»Das kann nur der Administrator.«
»Und wer, bitte schön, ist der Administrator?«
»Der Abteilungsleiter.«
»Dann holen Sie den, bitte.«
Die Blondierte ergriff mit einer patzigen Geste
den Hörer des neben der Kasse stehenden Telefons, wählte und meldete sich: »Hier
die Zwölf. Ich brauche den Chef an Zwei.«
Jung hatte die Verkäuferin in der Zwischenzeit
gemustert und ihr Namensschild auf dem Revers ihrer Kostümjacke gelesen.
»Frau Traulsen, solange wir auf Ihren Chef
warten, könnten Sie mir bitte eine Probe Aftershavebalsam von Gaultier heraussuchen?«
Die Blondierte starrte ihn an. Jung merkte,
dass es ihr Mühe bereitete, den Mund zu halten und seiner Bitte nachzukommen. Stumm
ging sie in die Hocke und zog eine Schublade unter der Kasse auf. Sie beugte sich
vor und hantierte lustlos in einem Berg von Proben. Jung sah ihr unverhohlen in
den Ausschnitt. Er bemerkte, wie sich ein Netz feinster Fältchen über ihr üppiges
Dekolleté ausbreitete und an dem dicken Make-up ihres Halses strandete wie leicht
gekräuseltes Meerwasser an einem glatten Sandstrand. Ihn erfasste eine Woge von
Ekel.
»Ich hab es mir anders überlegt. Danke für
Ihre Bemühungen!«, rief ihr Jung zu und flüchtete in Richtung Ausgang. Draußen
blieb er stehen und holte tief Luft. Durch das Schaufenster sah er jetzt die Blondierte
im Gespräch mit einem smarten Jüngling, der in seinem Bossanzug steckte wie ein
Marineleutnant in seiner Ausgehuniform. Von hier draußen sahen sie aus, als könnten
sie geradewegs aus der Titelseite eines Hochglanzmagazins wie Vogue, Cosmopolitan,
Elle, Petra oder Brigitte schreiten, die Jung für jene Kampfblätter der weltweit
grinsenden Verblödung hielt, deren verheerende Wirkung in der Öffentlichkeit völlig
unbemerkt blieb.
Übertreibst du nicht?, meldete sich in Jung
eine Stimme. Du bist überheblich und anmaßend. Du hast es mit Menschen dieser Welt
zu tun und nicht mit Figuren aus deinem Paradies.
Mein Gott, was verlange ich denn schon?
Gut, dass du ihn erwähnst. Er liebt bekanntlich
alle Menschen, obwohl sie seinen Sohn ans Kreuz genagelt haben.
Ich bin nicht Gott.
Dann maße dir nicht seine Rolle an, mein Lieber.
Jung brach den inneren Dialog ab. Er wusste,
dass er auf verlorenem Posten stand. Er seufzte und lenkte seine Schritte in die
schräg gegenüberliegende Filiale der Douglas-Kette. Hier hoffte er sein Geschenk
schneller zu finden.
Das Konglomerat aus Gerüchen und Düften am
Eingang stieg ihm beißend in die Nase. Es machte ihn schwindelig. Er sah einen lebendigen
Videoclip der feilgebotenen Produkte auf sich zukommen und machte auf dem Absatz
kehrt.
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