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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Nacht hinaus. Über dem Firmament
lag ein schwacher, rötlicher Schimmer, der den Himmel einer ungetrübten Sommernacht
in nördlichen Breiten ausmacht und den nur die hellsten Sterne durchdringen. Er
beugte sich zu seiner Frau hinüber und gab ihr einen Kuss auf den Hals unter ihrem
linken Ohr.
    »Danke für deinen Vortrag. Gute Nacht und schlaf
gut.«
    »Danke, ebenfalls. Sag mir, wenn du Neues hast.
Es interessiert mich.«

Die Freundin
     
    Eines späten Nachmittags meldete sich Helga Bongard bei Jung. Sie schlug
ein Treffen in Holtbüll vor. Wenn er einverstanden sei, könnten sie sich zum Abendessen
im Restaurant Pizzeria ›Alla Stazione‹ treffen.
    »Soll ich mir jetzt die ganze Nacht für Sie
freihalten?«, fragte er mit gespielter Entrüstung. Sie lachte und erklärte ihm,
dass ihre Forderung nur ein Test seiner Bereitwilligkeit zuzuhören gewesen sei.
Er hätte den Test bestanden. Er willigte ein, und sie verabredeten sich auf 19 Uhr
im Bahnhof.
    Schleswig-Holstein liegt im äußersten Norden
der Republik. Der Landesteil Schleswig ist der nördliche Teil davon. Er trennt die
Ostsee von der Nordsee und grenzt im Norden an das Königreich Dänemark. Will man
von der Ostküste, an der die alte Residenzstadt Schleswig und der einstmals bedeutende
Handelsplatz Flensburg an weit ins Binnenland reichenden Fjorden liegen, zur Westküste,
nach Nordfriesland, kommen, so überquert man in der Mitte den von Norden nach Süden
verlaufenden öden Geestrücken und erreicht in Bredstedt die heimliche Hauptstadt
Nordfrieslands. Jenseits dieser gemütlichen Kleinstadt breitet sich nach Westen
und Norden flaches, fettes Marschland aus. Die Nordfriesen haben es dem Meer abgerungen
und zu einer reichen Ackerlandkultur entwickelt. Die raue und kraftvolle Aura ihres
Landes erinnert sie stets daran, dass sie unauflöslich mit der Erde verbunden und
den Elementen und Kräften der Natur ausgeliefert sind.
    Das erste größere Dorf in Richtung der Fähranleger
zu den vor der Küste liegenden Inseln und Halligen ist Holtbüll. Einstmals war Holtbüll
eine Bahnstation auf der Strecke Husum–Tondern. Jetzt ist es ein Haltepunkt der
Nord-Ostsee-Bahn auf dem Weg nach Sylt. Der alte Bahnhof wurde einer neuen Bestimmung
zugeführt und beherbergt nun ein italienisches Restaurant. Ein Ehepaar aus dem ehemaligen
Jugoslawien bewirtschaftet es. Die beiden konnten ihren Beruf als Kunsthistoriker
auf dem Balkan nicht ausüben. Sie haben sich hier einen Ruf erarbeitet, der über
den Ort hinaus bekannt geworden ist und ihre Gaststube reichlich füllt.
    Jung fuhr der im Westen versinkenden Sonne
entgegen. Nach einer knappen halben Stunde auf geraden Landstraßen erreichte er
Holtbüll. Am Himmel zogen die ersten hohen, in gelbe und rote Farbe getauchten Zirruswolken
auf. Das Wetter würde sich in nächster Zeit ändern, die Vorboten waren unübersehbar.
    Er betrat den Gastraum. Es konnte nicht nur
die Beleuchtung sein, die ihn an den Wartesaal eines Bahnhofs erinnerte. Er spürt
eine Anspannung in der Luft, eine Nervosität, die ihn reizte. Auf der Fahrt hatte
er sich ein Bild von Helga Bongard zurecht fantasiert. Jetzt konnte er an den Tischen
niemanden entdecken, der diesem Bild nahegekommen wäre. Er verharrte unschlüssig
am Tresen und wartete auf die Bedienung, die seine Reservierung bestätigen und ihn
zu seinem Tisch führen sollte. Schließlich erschien aus dem Durchlass zur Küche
eine in Schwarz gekleidete Frau. Sie begrüßte ihn mit einem angedeuteten Lächeln
und führte ihn an den reservierten Tisch. Sie nickte der Frau freundlich zu, die
dort schon Platz genommen hatte.
    Jung war geschockt. Seine Fantasie hatte ihm
einen Streich gespielt. Die Wirklichkeit konfrontierte ihn mit einer Frau ohne Hals
und Figur, aber unübersehbar sorgfältig gekleidet und zurecht gemacht. Ihr Parfüm
war überdosiert und störte ihn. Sie stand unter Strom und verstrahlte die nervöse
Energie einer unentwegt mit allem und nichts beschäftigten Frau. Schade, dachte
Jung, und merkte, wie sich Widerwillen in ihm regte. Er nahm sich aber zusammen
und lächelte tapfer. Während sie sich bekannt machten, registrierte er auf dem Tisch
ein leeres Jägermeister-Glas und eine halb gefüllte Karaffe Wasser.
    »Entschuldigen Sie meine Verspätung. Aber Sie
haben die Zeit ja schon genutzt, wie ich sehe.« Jung setzte sich ihr gegenüber an
den Tisch.
    »Keine Ursache. Ich bin ebenfalls erst seit
ein paar Minuten hier. Wenn ich komme, stehen die Sächelchen schon auf

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