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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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war.«
    »Ich besuchte sie alle paar Wochen auf der
Insel und kontrollierte ihren Zustand. Sie erzählte mir, wie es ihr ging, und anschließend
besprachen wir den weiteren Behandlungsplan. Darauf stellte ich die Medikation ein,
füllte die entsprechenden Rezepte aus und brachte sie zur Apotheke in der Strandstraße,
die eine alte Freundin von mir führt. Übrigens ist sie schon seit undenklichen Zeiten
auf der Insel. Sie gehört sozusagen zum Inventar. Wenn Sie was über Sylt wissen
wollen, müssen Sie zu ihr gehen. Also, sie stellte die Medikamente zusammen und
sandte sie per Kurier zu Frau Mendel hinaus. So lief das.«
    »Wie konnten Sie denn sicher sein, dass die
verschriebenen Medikamente auch wirklich ausgeliefert wurden?«
    »Ich habe volles Vertrauen zu meiner alten
Freundin. Nach Einzelheiten müssen Sie sie aber selbst fragen.«
    Sie tranken ihre Gläser aus und rüsteten sich
für den Aufbruch.
    »Sie waren sehr offen zu mir. Was ist mit Ihrer
ärztlichen Schweigepflicht?«, fragte Jung im Aufstehen.
    »Nachdem Sie mich heute Vormittag anriefen,
habe ich nachgedacht. Ich kam zu dem Schluss, dass ich einen erneuten Versuch wagen
möchte, selbst wenn ich in Konflikt mit meiner Verschwiegenheitspflicht kommen sollte.
Um ehrlich zu sein, ich habe es von Ihnen abhängig gemacht.«
    »Oh, das interessiert mich. Womit habe ich
denn das verdient?«
    »Na ja, bei Ihren Kollegen, die den Fall vor
Ihnen untersucht haben, war ich verschlossener. Der Tod von Frau Mendel war gerade
erst geschehen. Ich stand unter dem Eindruck, den sie als Lebende auf mich gemacht
hatte. Ich wollte sie nicht schädigen, vor allem, weil diese jungen Polizisten etwas
ruppig und ohne Pietät auftraten. Das gefiel mir nicht. Und hinterher hat mich keiner
mehr gefragt.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt liegt ihr Tod schon einige Zeit zurück.
Sie sind nicht ruppig, und meine Neigung, die Wahrheit zu erfahren, wird immer größer.
Selbstmord schließe ich kategorisch aus.«
    »Danke für das Kompliment und Ihr klares Urteil«,
erwiderte Jung. »Wir müssen uns wieder treffen und über Gottes Willen reden.«
    »Spätestens, wenn Sie mir erzählen können,
was wirklich passiert ist.«
    Sie bezahlten ihre Rechnungen bei der kleinen
Köchin, lobten ihre köstlichen Spaghetti und nickten ihr freundlich zu. Sie wurden
mit einem schmalen Lächeln belohnt und traten auf die Rote Straße hinaus. Am Südermarkt
verabschiedeten sie sich voneinander und versicherten sich gegenseitig noch einmal,
sich treffen zu wollen, sobald genügend Anlass dazu bestünde.
    Jung schlenderte zurück zur Hafenspitze. Wem
hatte er schon sein Versprechen gegeben, die Wahrheit zu erzählen, wenn er sie denn
erst hatte? Boll, Bär und wem noch? Allmählich fühlte er, wie er sich selbst unter
Druck zu setzen begann. Das musste aufhören. Es bekam ihm nicht.

Die Gattin
     
    Nachmittags machte Jung früher Schluss als üblich. In wenigen Tagen
feierte seine Frau Svenja Geburtstag, und Jung wollte sie mit einem Geschenk überraschen,
das sie von ihm nicht unbedingt erwarten würde.
    Seine Frau war groß und schlank, aber nicht
zierlich. Man hätte sie für eine nordische Schönheit halten können, wenn ihre Proportionen
nicht einen Akzent von den idealen abgewichen wären und ihr Schwerpunkt nicht deutlich
unter dem Bauchnabel gelegen hätte.
    Er liebte sie. Aber hätte ihn jemand gefragt,
warum, würde er sich schwergetan haben, eine zutreffende Antwort zu geben. Es gab
Zeiten, in denen sie ihn verwirrte und ängstigte. Dann konnte es passieren, dass
ein langsam sich steigerndes, wütendes Misstrauen sich seiner bemächtigte. In diesen
Zeiten spürte er eine unheimlich anmutende Verschiedenheit zwischen sich selbst
und ihr. Er hatte große Mühen auf sich genommen, um den Graben zwischen ihnen zuzuschütten.
Doch je intensiver er sich bemühte, desto erfolgloser war er. Zurück blieb immer
nur Erschöpfung. Schließlich stellte er seine Bemühungen ein. Ihm blieb ein immerwährender
Schmerz, an den er sich inzwischen gewöhnt hatte wie an die Sehschwäche seines linken
Auges. Er hatte ein Gefühl der Heimatlosigkeit, als sei er an einem Ort, an dem
er immer wachsam sein musste, keine Fehler machen und sich nicht ausruhen durfte.
     
    Jung verließ die Polizei-Inspektion und lenkte seine Schritte in die
Fußgängerzone. Er steuerte die Parfümerieabteilung von Karstadt an. Am Eingang informierte
er sich kurz über ein paar Sonderangebote, anschließend machte er sich auf die

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