Inselkoller
Genie. Die kaufmännischen Basics
hatte sie drauf wie keine Zweite: Vertragsrecht, Eigentumsrecht, Finanz- und Bankwesen
und so weiter und so fort.«
Ihr Gesichtsausdruck verfestigte sich und bekam
den Anstrich der coolen Businessfrau.
»Ich habe in meinem Geschäftsleben nie wieder
jemanden erlebt, der einen Deal so brutal nüchtern und tough durchziehen konnte
wie sie. Aber das war nur ein Teil ihres Genies. Was sie weit über die Konkurrenz
hinaushob, war ihre untrügliche Nase für gute Geschäfte. Sie wusste, wo sie zum
Zuge kommen konnte, und hatte ein Gespür dafür, wo sie auf solide Verhältnisse traf
und wo faule Kandidaten ihre geheimen Süppchen kochten. Diese Unterscheidungsfähigkeit
bewahrte sie vor geschäftlichen Einbrüchen. Was sie aber wirklich einzigartig machte,
war ihr Talent, jeden Vertragsabschluss für die Beteiligten zu einem Event werden
zu lassen. Nicht nur, dass die Vertragspartner bekamen, was sie sich von dem Geschäft
erhofften, sondern sie nahmen auch das Gefühl mit, etwas Gutes getan zu haben. Das
sicherte ihr das Wohlwollen und die Treue ihrer Kundschaft und vergrößerte sie stetig.«
»Wollen wir eine weitere Karaffe bestellen?«,
unterbrach sie Jung.
»Ja gerne, und noch einen Jägermeister, bitte.
Das kommt gut.« Jung gab die Bestellung an die schwarze Madonna weiter und wandte
sich wieder Helga Bongard zu.
»Ihre Freundin muss sich mit ihren Fähigkeiten
viele Feinde gemacht haben?«
»Nicht Feinde, aber Neider. Dazu kam, dass
sie sich aus Geld eigentlich nichts machte. Sie kam aus begüterten Verhältnissen,
wo Geld einfach da war wie der Himmel über uns. Es lohnte sich nicht, darüber nachzudenken.
Sie achtete gleichwohl sorgfältig auf ihre Finanzen, aber mehr so, wie ein guter
Handwerker auf sein erstklassiges Werkzeug achtet und es entsprechend pflegt. Sie
war großzügig, wo es ihr Spaß machte, aber gänzlich ungerührt, wo sie Disziplinlosigkeit,
Schlamperei, Selbstmitleid und Schnorrer witterte.«
»Und Sie wurden ihre rechte Hand, wie ich vermute?«
Jung nahm einen Schluck Rotwein und stellte sein Glas ab.
»Ja, so war es. Ich übernahm nach und nach
das operative Geschäft. Sie war außerordentlich zufrieden mit mir. Ich blühte auf,
und ich hatte Erfolg. Ich verdiente gut, ich reichte die Scheidung ein und machte
Schluss mit meiner Vergangenheit. Und ich entwickelte alte und neue Talente. Es
war einfach irre gut.« Ihr Gesicht überflog ein schwärmerischer Anflug, doch glättete
es sich rasch wieder.
»Und wie ging es weiter?«
»Ich sagte ja schon, dass ich meine Talente
entwickeln konnte. Zum Beispiel habe ich einen guten und sicheren Geschmack. Den
konnte ich nutzbringend einsetzen. Denn neben der Maklerfirma baute Anna neue Häuser
und kaufte alte, renovierte sie, teilte sie in Ferienwohnungen auf und verkaufte
sie gewinnbringend. Die Ferienwohnungen wurden nach meinen Anweisungen hergerichtet
und gingen weg wie warme Semmeln zu Preisen weit über dem Marktwert. Die Vermietungsagentur,
die sie gegründet hatte, nahm diese Wohnungen wieder auf und bot sie in den Zeiten,
in denen sie die Eigentümer nicht selbst nutzten, zur Miete an. Und das Geschäft
lief ebenso gut wie schon der Verkauf zuvor. Daran verdiente sie noch einmal.« Sie
nahm einen großen Schluck aus ihrem Weinglas und kippte den Jägermeister hinterher.
»Lassen Sie mich raten, was passierte. Sie
überwarfen sich mit Ihrer Chefin, oder besser, Sie gingen langsam auf Distanz.«
»Ja, so ähnlich. Es war nicht nur, dass ich
mich fragte, warum ich an der verdienten Knete nicht angemessen beteiligt wurde.
Denn als ich mich in dieser Angelegenheit einmal an sie wandte, stieß ich auf Beton.
Ich hatte den Eindruck, sie hätte Bohnen in den Ohren.«
»Und was war noch?«
»Etwas anderes war der Auslöser. Ich war ihre
rechte Hand geworden, und sie erwartete, dass das so blieb. Aber ich bin nicht zum
Hiwi geboren, selbst nicht für meine Retterin. Zudem entdeckte ich an ihr beängstigende
Züge. Sie war immer unter Dampf. Ich fand das ungesund, so, als hetze sie dauernd
hinter etwas her, das sie sowieso nicht haben konnte. Das Ganze bekam einen Sog,
der mich abstieß.«
Sie senkte die Augen und drehte den Stiel ihres
Rotweinglases zwischen ihren Fingern. Dann sah sie ihm in die Augen.
»Was ist?«, fragte sie.
»Mir ging gerade durch den Kopf, ob es uns
allen nicht mehr oder weniger ähnlich geht«, erwiderte Jung.
»Richtig, mehr oder weniger. Und Anna neigte
zu mehr, zu viel mehr,
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