Inselkoller
bewertete
nichts, und abschließend machte sie mir einen Vorschlag.«
Sie hatten, während sie redeten, gegessen,
und Jung fragte sich, warum Helga Bongard einen Salat bestellt hatte, von dem sie
nur die grünen Blätter aß, den größten Teil aber, Tomaten, Gurken, Oliven, Zwiebeln,
Pilze, Paprika und Käse, aussortierte.
»Erzählen Sie auch mir Ihre Geschichte?«, bat
er sie.
»Es ist nichts Besonderes, eher das Übliche.
Wir, mein Mann und ich, lernten uns jung kennen, verknallten uns und heirateten.
Wir kamen aus einfachen Verhältnissen. Wollten nach oben. Ich habe Power. Ich arbeitete
hart, bildete mich fort, machte Abschlüsse an Schulen und Hochschulen. Die Sozialdemokraten
hatten die Möglichkeiten dazu geschaffen. Wir hatten Erfolg, großen Erfolg, und
auf einmal viele Freunde in der Gesellschaft. Die Kohle schwappte in unsere Kassen.
Wir kauften ein altes Haus, und ich richtete es ein. Ich habe Talent. Dann wurde
mein Sohn geboren. Wir hatten so viel Geld, dass es ausgegeben werden musste. Wir
kauften eine Ferienwohnung auf Sylt. Es ging uns sehr gut, und die Spaßgesellschaft
war angesagt. Es gab damals ein Lied der Neuen Deutschen Welle mit dem Titel: ›Ich
will Spaß‹.«
»Girls just want to have fun«, zitierte Jung
verständnisinnig den Song von Cyndi Lauper. Sie schaute ihn irritiert an und fuhr
völlig unbeirrt fort.
»Mein Mann legte alles flach, was nicht bis
drei auf die Bäume kam. Wir pflegten gesellschaftliche Kontakte. Hinter dem freundlichen
Getue wusste ich genau, wer wem von hinten in die Eier greift, wer mit wem fremdging,
wer schon auf der Abschussliste stand und noch so tat, als gehörte er dazu. Hinter
der Scheißfreundlichkeit sah ich Angst, Neid, Missgunst, Hass und den gnadenlosen
Drang nach mehr, mehr und viel mehr. Es kotzte mich alles an. Mein Mann kotzte mich
auch an, und ich floh nach Sylt.«
»Und Ihr Sohn?«
»Er blieb bei seinem Vater.«
In der Zwischenzeit hatte sie die köstlichen
Scampis verspeist und sich den Mund mit der Serviette abgetupft. Ihr Lippenrot war
bis auf einen schmalen Rand ober- und unterhalb der Lippen weg. Das wirkte wie eine
Liederlichkeit an ihr. Jung fiel seine Mutter ein. Sie hätte, wenn sie noch am Leben
gewesen wäre, ›schmutzig‹ dazu gesagt.
»Und die Geschichte Ihrer Freundin, wie ging
die?«
Ȁhnlich. Sie lernte ihren Mann auf der Party
anlässlich seines bestandenen Diploms an der Uni Münster kennen. Er hatte die Studenten
der BWL allesamt eingeladen, darunter auch sie. Er
entstammt einer Baumarktdynastie im Ruhrpott und hatte, wie man so schön sagt, Kleie
an den Hacken bis zum Abwinken. Sie übrigens auch. Ihr Vater gehörte zum Oldenburgischen
Landadel mit Grundbesitz und einer gut gehenden Firma, die Schlachtmaschinen für
die tierverarbeitende Industrie herstellte. Sie sehen sich, verknallen sich, heiraten.
Er arbeitet in der Firma seines Vaters, sie studiert zu Ende. Sie haben Zeit und
Geld, sind verliebt, kaufen sich ein Haus und eine Ferienwohnung auf Sylt. Dann
kommt das erste Kind. Gleichzeitig wird ihr Mann Chef der väterlichen Baumarktkette.
Nach der Geburt legt sie zu, nach der Geburt ihres zweiten Kindes noch mehr. Ihr
Mann ist nun geschäftlich viel unterwegs, lernt Frauen kennen, junge, schlanke,
attraktive Frauen, die ihm nur zu gerne den Schwanz lutschen. Das gefällt ihm, ihr
aber nicht. Sie schnappt sich die Kinder, reicht die Scheidung ein und zieht nach
Sylt. Ihr Vater stirbt, sie verkauft die Firma und ist auf einmal reich und finanziell
unabhängig. Sie ist diplomierte Kauffrau. Sie hat Zeit und Bock, mit ihrem Geld
zu arbeiten. Sie macht ein Immobiliengeschäft auf. Darin ist sie erfolgreich, sehr
erfolgreich.«
Jung nahm einen Schluck Rotwein und sagte:
»Sie schnurren das so runter, als wenn es gar nichts wäre.«
»Das sind die Tatsachen, nüchtern betrachtet
und ohne überflüssiges Gesülze.«
Jung kam in den Sinn, nach dem Gesülze zu fragen,
unterließ es aber und ermunterte sie, fortzufahren.
»Sie sprachen von einem Vorschlag, den sie
Ihnen unterbreitete. Was war das?«
»Sie bot mir an, für sie zu arbeiten, und ich
willigte ein. Sie stellte mir eines ihrer Apartments zur Verfügung und arbeitete
mich in die Geschäftsführung ein. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung als Bürokauffrau,
aber vor allem war ich geil auf Arbeit und wollte dazulernen. Sie brachte mir viel
bei, und ich war ihr dankbar.«
»Das kann ich mir gut vorstellen. Was lernten
Sie von ihr?«
»Sie war ein
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