Inselkoller
Rechnung, verließ das Café und überließ sich dem
dichten Strom der Passanten in Richtung Strand.
Der Wind war auf der Insel noch lästiger als
auf dem Bahnsteig in Holtbüll. Auch kündigten die Wolken ungemütliche Regengüsse
an. Jung entschloss sich kurzerhand, das Büro der Apartmentvermittlung Mendel aufzusuchen.
Vielleicht hatte er Glück und traf dort den Hausmeister an. Die Befragung nicht
vorbereiteter Zeugen führte manchmal zu Überraschungen. Er fragte sich zur Strandallee
9 durch.
Eine Frau Steindorff begrüßte ihn. Auf seine
Nachfrage hin überraschte sie ihn mit der angenehmen Mitteilung, der Hausmeister
sei anwesend. Sie werde ihn rufen lassen. Jung wartete auf einem schmalen Sessel
sitzend, der zu einer betagten Cocktailgarnitur vor dem Steindorff’schen Schreibtisch
gehörte.
Ein Mann betrat das Büro. Er war in einen grauen
Werkstattkittel gekleidet. Auf seinen Schultern ruhte ein gewaltiger Schädel. Er
stand im Missverhältnis zum Rest des Mannes, selbst wenn Jung auf den zweiten Blick
feststellte, dass auch sein Körper massig und wuchtig war. An den Kopf mit der gräulich-gelben
Mähne würde er sich immer erinnern, an das Gesicht nicht.
Sie stellten sich einander vor. Als Jung ihm
die Hand zur Begrüßung gab, hatte er das Gefühl, als verschwände ein Teil von sich
in einer anderen Welt. Clausen bat ihn in sein Büro, das Jung an die Wachstube in
der Polizei-Inspektion erinnerte. Sie setzten sich an einen Pausentisch auf einfache
Holzstühle.
»Ich komme noch einmal zu einem letzten Gespräch
zu Ihnen, bevor wir die Akte in der Sache Ihrer ehemaligen Chefin schließen«, begann
Jung das Gespräch. »Sozusagen der guten Ordnung halber und aus Pflichtgefühl. Wir
wollen einfach nichts Menschenmögliches unterlassen, um doch noch eine zweifelsfreie
Klärung der Todesumstände herbeizuführen.«
»Ich verstehe. Sie wollen die Werkstatt aufräumen,
bevor Sie abschließen«, erwiderte Clausen.
»Ungefähr so, ja, das ist richtig. Sie haben
ja eng mit Ihrer Chefin zusammengearbeitet, wie ich hörte.«
»Ja, sie war eine gute Chefin. Ich war gerne
bei ihr beschäftigt. Ich war ihr Mann für die Praxis.«
»Und Sie haben ihr auch auf privatem Sektor
geholfen, nicht wahr?«
»Ja, das ergab sich aus unserem Vertrauensverhältnis.
Sie konnte nicht mehr viel allein machen, da habe ich ihr geholfen, wo ich konnte.«
»Was glauben Sie, hatte sie in ihrem engen,
persönlichen Umfeld Feinde oder Neider, die ihr übelwollten? Wie ging sie mit ihren
Angestellten und Arbeitern um, zum Beispiel mit denen, die ihre Wohnung sauber machten,
ihren Garten pflegten und so weiter?«
»Nein, nein, wenn Sie glauben, da hätte sie
Feinde gehabt, so sind Sie total auf dem Holzweg. Gerade bei den Putzfrauen war
sie sehr beliebt. Sie machte ihnen Weihnachtsgeschenke und erkundigte sich nach
ihren Familien, selbst wenn wenig Zeit dafür blieb, weil wir das Haus immer verließen,
wenn die Putzen einrückten.«
»Warum das?«
»Sie wollte nicht im Wege stehen. Wir machten
einen Ausflug.«
»Und wohin?«
»Ich fuhr sie in ihrem Mercedes nach Rantum
oder List. Dabei sprachen wir ab, was in der kommenden Woche zu erledigen war.«
»Und was machten Sie dort?«
»Im Lister Hafen setzte sie sich auf eine Bank
und schaute den Fähren zu, die von Romö rüberkamen oder nach drüben ablegten.«
»Sie ging nur selten aus, nicht wahr?«
»Ja, oft verließ sie ihr Haus nicht mehr. Sie
genoss das Leben am Hafen. Ich ging unterdessen bei Gosch essen oder kaufte in der
alten Tonnenhalle ein.«
»Und dann fuhren Sie wieder zurück, und alles
Nötige war im Haus getan. Man könnte das auch so auffassen, als wollte sie mit den
Putzmädels nichts zu tun haben.«
»Also, wenn Sie meinen, die Chefin wäre eingebildet
und überheblich gewesen, täuschen Sie sich ganz gewaltig.« Seine Stimme hatte sich
erhoben und klang empört. »Sie hat ja sogar …«, Clausen unterbrach sich abrupt und
biss sich auf die Unterlippe.
»Was hat sie sogar?«, hakte Jung nach.
»Nichts, nichts. Mir fiel nur gerade etwas
ein, das gar nicht zur Sache gehört.«
»Was fiel Ihnen ein? Zur Sache gehört alles,
was Frau Mendel betrifft. Oder wollen Sie nicht auch, dass ihr Tod aufgeklärt wird?«
»Doch, doch, natürlich. Ich hab nichts zu verbergen.
Es ist nur so, dass …«, und er schwieg wieder.
»Sie möchten sicherlich nicht indiskret sein
oder jemanden bloßstellen, nicht wahr?«, kam ihm Jung entgegen.
»Herr Kriminalrat, es ist
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