Inselkoller
wollen.«
»Ich dachte eher an das Café Wien. Ich war
heute Vormittag da. Es hat mir sehr gut gefallen, allerdings nur bis halb elf.«
»Ah, Sie sind auf der Insel? Das ist ja eine
Überraschung. Und gleich ins Café Wien. Toll, da bin ich gerne, auch nach halb elf.
Die haben wunderbaren Kuchen.«
Jung ging das neckische Geplänkel langsam auf
die Nerven.
»Wir waren heute dort verabredet, erinnern
Sie sich?«
»Nein, da täuschen Sie sich. Das müsste ich
doch wissen. Ich würde doch kein Date mit Ihnen verpassen, ich bitte Sie.« Ihr launiges
Geflöte fing Jung jetzt sogar an zu ärgern.
»Ich habe Sie vor zwei Tagen deswegen angerufen.
Wir wollten unser Gespräch fortsetzen. In der ›Stazione‹ war es spät geworden«,
erinnerte er sie.
»Herr Kriminalrat, Sie offenbaren ungeahnte
Schwächen. Für einen Polizisten kann das besonders schlimm ausgehen. Muss ich mir
etwa um die öffentliche Sicherheit Sorgen machen?«
Jung dämmerte, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Lassen wir mal die öffentliche Sicherheit
beiseite und beschäftigen uns lieber mit Ihrem Gedächtnis. Es scheint Lücken zu
haben.«
»Aber, aber, Herr Kriminalrat, warum so ungalant?
Vielleicht hatten Sie die Absicht, sich mit mir zu treffen, und danach kam Ihnen
etwas dazwischen. Könnte es nicht eher so gewesen sein?«
Jung unterdrückte seinen Ärger und verlegte
sich darauf, unter Hinnahme ihrer beunruhigenden Gedächtnislücke aus der misslichen
Lage herauszukommen.
»Sei es, wie es sei, können wir heute Abend
zusammen essen und unser Gespräch von neulich fortsetzen?«
»Gerne. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich
denke da an das ›Il Ristorante‹. Sie kennen es sicherlich nicht, wenn Sie noch nicht
oft auf der Insel gewesen sind. Ich kann es empfehlen.«
»Bevor ich zustimme, möchte ich, dass Sie es
mir schmackhaft machen.«
Jung war gespannt auf ihre Beurteilung des
Lokals, in dem er eben gegessen hatte und gleich seine Rechnung begleichen sollte.
»In erster Linie machen die fantastisches Essen
und haben einen guten Wein im Ausschank, wenn auch etwas überteuert. Aber darüber
sehe ich gerne hinweg. Es ist geschmackvoll und unaufgeregt eingerichtet. Nichts
Besonderes, aber sauber und ordentlich. Vor allem die Toiletten. Der Service ist
in Ordnung und zurückhaltend, nicht von der Art dieser schmalzigen, mit Grazie,
Signora und Prego gespickten Anmache, die man oft bei Italienern antrifft. Reicht
das?«
»In Ordnung, gefällt mir. Wir treffen uns um
sieben dort, einverstanden?«
»Ja gut.«
Jung war verwundert. Er hätte eher etwas über
die sanften Augen des süßen Kellners mit der sexy Stimme zu hören erwartet. Er bezahlte
und verließ das Restaurant. Das Kreischen unzähliger, in der Luft segelnder Möwen
empfing ihn. Nach der warmen Ruhe der Gaststube pfiff ihm der Wind lausig um die
Ohren.
Er kannte sich inzwischen schon gut aus und
fand, ohne fragen zu müssen, den Weg über die Friedrich- und Strandstraße in die
Strandallee und in die Vermietungszentrale. Die neue Chefin hatte ihren Bürokomplex
im ersten Stock des Gebäudes, in dessen Erdgeschoss er den unbequemen Sessel von
Frau Steindorff noch in frischer Erinnerung hatte.
Er war deswegen äußerst verblüfft, als er die
Führungsetage betrat. Der schlichte, aber teure Luxus des Sekretariats war beängstigend
makellos und zeugte von einem ausgewählten und sicheren Geschmack. Das Design sah
nach Jil Sander aus, wenn man sie dafür hätte gewinnen können. Jung kam sich in
seinen an Knie- und Sitzflächen deutlich abgenutzten Cordjeans, seiner alten Lederjacke
und seinen heruntergelatschten Camperschuhen deplatziert vor. Er versuchte, sich
an etwas festzuhalten, das ihn in die wirkliche, fehlerhafte Welt da draußen zurückbrächte,
fand aber nichts. Sein Blick irrte durch den Raum, bis die Chefin – gerufen von
ihrer Vorzimmerdame, die diese Bezeichnung auch verdiente – aus ihrem Büro trat
und ihn begrüßte. Jung hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Er wirkte fahrig. Sein
Zustand verschlimmerte sich, als er das im Stil des Vorzimmers gehaltene Arbeitszimmer
betrat. Sie bat ihn, Platz zu nehmen, und er sank schließlich auf das Leder eines
Brno-Stuhls.
Sie sah ihn forschend an. »Ist Ihnen nicht
gut?«
»Nein, nein. Es ist nichts, wirklich. Entschuldigen
Sie, mir ist ein wenig flau im Magen, so, als hätte ich etwas Unbekömmliches gegessen.
Verzeihen Sie bitte.«
»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
»Oh ja, gerne. Ein Glas Wasser wäre
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