Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
Vom Netzwerk:
gut, wenn
es keine Umstände macht. Ja, bitte, sehr liebenswürdig.« Jung war dankbar für die
kurze Unterbrechung einer Unterhaltung, die noch gar nicht begonnen hatte.
    Sie erhob sich. Jung vermochte zum ersten Mal
den Blick auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Ihr Gang war sicher und geschmeidig.
Er schätzte ihre Größe auf 1,70 Meter und ihr Gewicht auf 60 bis 65 Kilo. Ihre Haltung
verriet Ballettschulung in der Jugend. Es überraschte ihn nicht mehr, dass sie ein
hellgraues Kostüm aus Seidenjersey trug. Außer einer weißgoldenen Longines Dolce
Vita, die er aus dem Film ›Frühstück bei Tiffany‹ wiedererkannte, trug sie keinen
Schmuck. Ihr ebenmäßiges Gesicht fiel durch eine makellose Haut auf. Sie war ungeschminkt,
jedenfalls sah es so aus, und ihre blonden Haare waren am Hinterkopf zu einer Rolle
eingeschlagen, deren Halt verborgen blieb. Sie wirkte kühl. In ihren graublauen
Augen erkannte er eine ferne, unberührte Wachheit.
    Als sie ihm das Wasser reichte, überfiel ihn
der Gedanke, dass, sollte ihn das Missgeschick ereilen, das Wasser über ihren kostbaren
Rock zu vergießen, sie kein Theater machen würde, dass sie ohne ein Wort zu verlieren
ein neues Glas herbeibringen, sich an ihren Schreibtisch setzen und das Gespräch
wieder aufnehmen würde; nicht so, als wenn nichts geschehen wäre, sondern mit der
Gewissheit einer Souveränität, die sich durch nichts, schon gar nicht durch ein
Glas vergossenen Wassers, aus der Ruhe bringen zu lassen gewillt ist.
    Jung setzte das Glas an die Lippen, und sein
gesenkter Blick wurde von einem Bleistift auf dem Schreibtisch vor ihm gefesselt.
Ein ›Perfekter Bleistift‹ von Graf von Faber-Castell, mit Kappe und Verlängerer
und eingebautem Bleistiftspitzer, aus 925er Sterlingsilber und kanneliertem, schwarzem
Zedernholz. In ihm spiegelte sich der Stil des Imperiums der neuen Mendel. Er setzte
das Glas ab und starrte auf den Bleistift.
    »Herr Jung. Meine Zeit ist nicht unbegrenzt.
Geht es Ihnen so weit wieder gut, dass wir unsere Unterhaltung beginnen können?«,
vernahm er ihre klare, von jeglicher Affektiertheit freie Stimme.
    »Oh, entschuldigen Sie. Natürlich, unverzeihlich,
mich so gehen zu lassen. Bitte entschuldigen Sie.«
    »Sie scheinen mir ein wenig durcheinander zu
sein. Für die Columbo-Nummer gibt es überhaupt keinen Anlass.«
    »Oh, nein, nein. Columbo-Nummer, das ist gut
gesagt, aber liegt mir gänzlich fern.«
    »Um Sie zu entlasten, werde ich mal anfangen
zu erzählen, was ich zum Tod meiner Schwiegermutter zu sagen habe. Lassen Sie es
mich so ausdrücken: Ihr Tod kam für uns aufgrund ihres Gesundheitszustandes, oder
besser ihrer Krankheit, nicht überraschend, ganz unabhängig davon, ob es nun Selbsttötung
oder Tod durch fremde Hand war. Deswegen hielt sich unsere Bestürzung auch in Grenzen.
An Selbstmord mochten wir nie glauben, das passte einfach nicht zu ihr. Und der
Gedanke, dass da draußen ein Mensch herumläuft, der sie vergiftet haben könnte,
ist zwar äußerst beunruhigend, drängte sich uns aber einfach nicht auf. Sie hatte
Neider, gewiss, aber ein Mord passt atmosphärisch nicht ins Bild. So reagierten
wir eher verstört, wie wenn es einen bösen Unfall gegeben hätte.«
    Jung hatte sich so weit wieder unter Kontrolle,
dass er anfing zu begreifen, was sie sagte.
    »Die Polizei tappt im Dunkeln. Aber es wird
von uns Aufklärung erwartet, zu Recht. Was Sie sagen, ist interessant. Aber gestatten
Sie mir einige Fragen. Wie war Ihre Schwiegermutter als Geschäftsfrau, und wie standen
Sie persönlich zu ihr?«
    »Ihre Kompetenz war über jeden Zweifel erhaben.
Diese Eigenschaft teilte sie mit einigen wenigen anderen. Was sie einzigartig machte,
war ihr Riecher für gute Geschäfte und die Fähigkeit, ihre Kunden zufriedenzustellen.
Das verschaffte ihr eine gute Reputation und die richtigen Mitarbeiter.«
    »Zum Beispiel Frau Bongard«, unterbrach Jung
sie.
    »Richtig. Frau Bongard brachte eine neue, eine
dekorative Facette in die Firma und entfesselte eine nicht vorhergesehene, jedenfalls
von mir nicht vorhergesehene Dynamik. Ihr Eifer war unerschöpflich.«
    »Warum, glauben Sie, hat sich Frau Bongard
von Ihrer Schwiegermutter getrennt?«
    »Sie waren sich zu ähnlich.« Jetzt schwieg
Karin Mendel ostentativ.
    »Können Sie das näher ausführen?«, versuchte
Jung sie zu animieren, sich weiter zu äußern.
    »Ich klatsche nicht gerne. Aber wenn Sie es
wünschen, bitte. Beide wollten immer die Erste sein. Das geht so lange gut,

Weitere Kostenlose Bücher