Inseln im All -: Roman (German Edition)
– und wie es sich herausstellte, behielten wir damit auch durchaus recht, wenn auch auf andere Art, als wir dachten.
Ich war nun schon zwei Wochen auf der Station und betrachtete mich ganz und gar als alten Hasen. Es schien mir völlig natürlich zu sein, kein Gewicht zu haben, und die Bedeutung der Worte »oben« und »unten« hatte ich fast vergessen. Dass man zum Beispiel Flüssigkeiten durch Röhrchen einsaugen musste, statt sie aus Tassen oder Gläsern zu trinken – das war für mich längst nicht mehr etwas Neues, sondern gehörte zum alltäglichen Leben.
Ich glaube, nur eine Sache vermisste ich auf der Station wirklich; es war unmöglich, ein Bad zu nehmen. Ich lag zu Hause schon immer gern lange in einer Badewanne mit heißem Wasser. Auf der Station jedoch konnte man sich nur duschen, und selbst dabei musste man sich in eine zylinderförmige Kunststoffhülle stellen, die am Hals geschlossen war, damit kein Wasser entweichen konnte. Jede größere Wassermenge ballt sich im schwerelosen Zustand zu einer Kugel zusammen, die herumschwebt, bis sie auf eine Wand trifft. Dann zerplatzt sie teilweise in kleinere Wasserkugeln, die nach allen Richtungen davonschweben, und der größte Teil breitet sich über die ganze Fläche der Wand aus.
Drüben in der Wohnstation, wo künstliche Schwerkraft herrschte, gab es dagegen wohl Bäder; man hatte sogar ein kleines Schwimmbecken eingerichtet – eine seltsame Idee unter diesen Umständen.
Die übrige Besatzung der Station hatte mich jetzt – ebenso wie die Lehrlinge – in ihre Gemeinschaft aufgenommen, und manchmal durfte ich auch schon irgendwo bei gelegentlichen Arbeiten mithelfen. Ich versuchte so viel wie möglich über die Station in Erfahrung zu bringen, ohne dabei den Leuten mit allzu vielen Fragen auf die Nerven zu fallen, und ich hatte schon vier dicke Notizbücher mit Aufzeichnungen und Skizzen angefüllt. Wenn ich zur Erde zurückkehrte, würde ich dann imstande sein, über die Station ein ganzes Buch zu schreiben, wenn ich das wollte.
Solange ich nur mit Tim Benton oder dem Kommandanten in Verbindung blieb, durfte ich jetzt praktisch überall hingehen, wohin ich wollte. Der Ort, zu dem es mich am meisten hinzog, war das Observatorium, in dem es ein kleines, aber starkes Fernrohr gab, mit dem ich mich beschäftigen durfte, wenn es nicht gerade für andere Zwecke gebraucht wurde.
Ich wurde es nie müde, mir die Erde anzuschauen, die dort unten wie ein riesiger Mond zunahm und abnahm. Gewöhnlich waren die Landschaften, über die wir hinwegflogen, ganz wolkenfrei, und ich hatte einen wunderbaren Ausblick. Wegen unserer schnellen Bahnbewegung drehte sich die Erde scheinbar mit einer Geschwindigkeit von rund acht Kilometer pro Sekunde unter uns von Ost nach West. In Wirklichkeit drehte sie sich natürlich von West nach Ost; weil sich aber die Bahnbewegung der Station in derselben Richtung mit einer vielfachen Geschwindigkeit vollzog, blieb die Rotation der Erde stetig hinter unserer Bewegung zurück, so dass sie sich scheinbar in entgegengesetzter Richtung drehte. Da wir jedoch achthundert Kilometer von der Erdoberfläche entfernt waren, konnte man trotzdem ein Beobachtungsobjekt eine ganze Weile im Blickfeld behalten, bevor es im Dunst des Horizontes verschwand. Mit dem Fernrohr war zu diesem Zweck eine kleine automatische Apparatur verbunden, die das Mitdrehen des Teleskops besorgte. Man brauchte also das Instrument nur auf das gewünschte Ziel einzustellen; dann folgte das Teleskop automatisch der scheinbaren Erdrotation.
Während die Station so um die Erde herumschwang, konnte ich alle hundert Minuten einen Gebietsstreifen rechts und links vom Äquator beobachten, der sich nordwärts bis nach Japan, zum Golf von Mexiko und zum Roten Meer erstreckte. Nach Süden konnte ich gerade noch Rio de Janeiro, Madagaskar und Australien sehen. Es war eine wunderbare Methode, Geografie zu lernen – wenn auch wegen der Erdkrümmung die vom Äquator weiter entfernten Länder stark verzerrt erschienen und in ihrer Form kaum noch so aussahen wie auf normalen Landkarten.
Da die Bahn der Station über den Äquator verlief, führte sie über das Stromgebiet von zweien der größten Flüsse der Erde, den Kongo und den Amazonas. Mit meinem Fernrohr konnte ich direkt in die Dschungel hinabschauen und ohne Schwierigkeiten einzelne Bäume und größere Tiere unterscheiden. Es war wirklich faszinierend, das Gebiet der großen afrikanischen Wildreservation zu beobachten,
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