Inseln im Netz
massiger Kopf und die Schultern waren eingerahmt von der hohen halbrunden Lehne eines Korbsessels. Hinter ihm standen links und rechts zwei Tuaregleutnants mit umgehängten Sturmgewehren, Patronengurten, zeremoniellen Tuaregsäbeln mit juwelenbesetzten Griffen und Quasten an den Säbelscheiden, Dolchen, Handgranaten, Pistolen.
»Stellen Sie Ihre Fragen«, sagte Gresham.
Mrs. Wu hielt die Aufzeichnung an. »Laura, Sie kennen sich dort aus. Ist er es?«
»Er ist es«, sagte Laura. »Er ist in einer Wäscherei gewesen, aber es ist Jonathan Gresham.«
»Sehen sie immer so aus?« fragte De Valera.
Laura lachte. »Das wird wohl ihr Sonntagsstaat sein. Diese Säbel und Dolche - sie haben alles bis auf Fliegenklatschen. Gresham versucht sie mit Wodu zu beeindrucken.«
»Ich habe nie eine furchterregendere Gestalt gesehen«, sagte Mrs. Wu. »Warum verbirgt er sein Gesicht? Sein Foto muß sowieso irgendwo archiviert sein.«
»Er trägt den tagelmoust«, sagte Laura. »Diesen Schleier und Turban - es ist das traditionelle Kleidungsstück männlicher Tuaregs. Eine Art Tschador für Männer.«
»Mal was anderes«, sagte McIntyre mit betonter Leichtigkeit. Auch sie war eingeschüchtert.
»Danke, Oberst Gresham.« Arbrights Stimme verriet, daß sie mitgenommen war, aber sie schien entschlossen, es durchzustehen. Eine Frau vom Fach. »Lassen Sie mich mit der Frage beginnen, warum Sie diesem Interview zugestimmt haben.«
»Sie meinen, warum Sie - oder warum überhaupt?«
»Fangen wir damit an: warum überhaupt?«
»Ich weiß, was in Ihrer Welt geschehen ist«, sagte Gresham. »Wir haben das Doppelspiel der Wiener hochgehen lassen, und das Netz möchte wissen, warum. Was haben wir davon? Wer sind wir, was wollen wir? Wenn das Netz etwas wissen will, schickte es seine Armee - Journalisten. Also gebe ich dieses eine Interview. Ich verlasse mich auf Sie, daß Sie die anderen vor Nachahmungen warnen.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen folgen kann, Oberst. Ich kann nicht für meine Medienkollegen sprechen, aber ich bin gewiß kein Soldat.«
»Die Regierung von Mali hat uns einen Vernichtungskrieg geliefert. Wir verstehen das. Wir verstehen auch die weitaus heimtückischere Bedrohung, die Sie darstellen, mit Ihren Armeen von Kameraleuten. Wir wollen Ihre Welt nicht. Wir respektieren Ihre Werte nicht, und wir legen keinen Wert auf Kontakte. Wir sind keine Touristenattraktion - wir sind eine revolutionäre Bewegung, kein Zoo. Wir werden uns nicht zähmen oder assimilieren lassen. Durch Ihre bloße Natur, durch Ihre bloße Gegenwart würden sie uns Assimilation aufzwingen. Das wird nicht erlaubt.«
»Oberst, Sie sind selbst Journalist gewesen, ebenso wie Sie Soldat waren, und… ah… Kulturtheoretiker. Sie müssen sich des allgemeinen Interesses an Ihrer Person und Ihren Aktivitäten bewußt sein.«
»Ja, das bin ich. Darum rechne ich damit, diese Wüste in den kommenden Jahren mit den Gebeinen Ihrer Kollegen zu übersäen. Aber ich bin Soldat - kein Terrorist. Wenn unsere Feinde - Ihre Kollegen - in unseren befreiten Zonen getötet werden, dann werden sie in Kenntnis der Ursache sterben. Das heißt, vorausgesetzt, daß ich Ihnen vertrauen kann, Ihre Arbeit zu tun.«
»Ich werde Sie nicht zensieren, Oberst. Ich bin auch nicht Wien.«
»Ja - ich weiß das. Ich weiß, daß Sie die Berichterstattung über den Terrorangriff auf Grenada über die von Wien gesetzten Grenzen hinausgetrieben haben, mit einigem Risiko für Ihre Karriere. Darum habe ich mich für Sie entschieden - Sie haben Rückgrat.«
Der zweite Kameramann war jetzt in Stellung gegangen und konnte Arbright aufnehmen. Sie lächelte Gresham an, mit Grübchen. Laura wußte, wie ihr zumute war. Sie war jetzt ziemlich gut mit Arbright befreundet. Hatte auch ein Interview mit ihr gemacht, ein gutes. Und sie wußte sogar den Namen von Arbrights Friseur.
»Oberst, ist Ihnen bekannt, daß Ihr Buch über die LawrenceDoktrin inzwischen ein Bestseller ist?«
»Es wurde als Raubdruck verbreitet«, sagte Gresham. »Und durch Streichungen gereinigt. Ich hatte mit alledem nichts zu tun.«
»Könnten Sie die Doktrin mit kurzen Worten unseren Zuschauern erläutern?«
»Es wird vorzuziehen sein, daß sie sie lesen«, sagte Gresham zögernd. Mit gespieltem Widerwillen, dachte Laura. »Vor mehr als einem Jahrhundert entdeckte Lawrence - er war britischer Offizier im Ersten Weltkrieg -, wie eine Stammesgesellschaft sich gegen imperialistische Fremdherrschaft verteidigen kann. Der
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