Inseln im Netz
Seit ich im Ruhestand lebe, das Joch abgeschüttelt habe, dreht sich alles nur noch um Loretta und mich. Wir sind eine Familie - ein kleines Gespann.«
»Du mußt glücklich gewesen sein, als du mit Papa zusammen warst. Ich erinnere mich. Ich dachte immer, wir seien eine glückliche Familie.«
»Nun, das waren wir ja auch. Es war nicht ganz so ungetrübt, aber es war gut. Bis zur Abrüstung. Bis ich anfing, achtzehn Stunden am Tag zu arbeiten. Ich hätte es ablehnen können - dein Vater wollte es so -, aber ich dachte, nein, das ist der größte Wendepunkt, den ich in meinem Leben sehen werde, und wenn ich in der Welt leben will, muß ich dies zuerst tun. Also tat ich es, und darüber verlor ich ihn. Euch beide.«
»Es muß dich sehr verletzt haben. Ich war jung und wußte es nicht - ich wußte nur, daß es mich verletzte.«
»Es tut mir leid, Laura. Ich weiß, es ist spät, aber ich bitte dich um Verzeihung.«
»Danke, daß du das sagst, Mutter. Auch mir tut es leid.« Sie lachte. »Es ist komisch, daß es dazu kommen sollte. Nach all diesen Jahren. Nur ein paar Worte.«
Ihre Mutter nahm die Brille ab, betupfte sich die Augen. »Deine Großmutter verstand… Wir haben nie viel Glück gehabt, Laura. Aber weißt du, ich glaube, wir haben die Lösung gefunden! Es ist nicht die alte Lösung, aber es ist etwas.«
»Vielleicht können wir es von nun an besser machen«, sagte Laura. »Ich habe mein Privatleben viel schlimmer vermurkst, als du es mit deinem tatest, und mein einziger Trost ist, daß es Loretta nicht so schmerzen wird.«
»Ich hätte mich mehr um dich kümmern sollen, als du jung warst«, sagte ihre Mutter. »Aber es gab die Arbeit, und - wirklich, es fällt mir schwer, es zu sagen - die Welt ist voller Männer.« Sie zögerte. »Ich weiß, daß du daran jetzt nicht denken magst, aber glaube mir, es kommt wieder.«
»Gut zu wissen, nehme ich an.« Sie betrachtete den Weihnachtsbaum, der zwischen zwei japanischen Rollbildern stand. »Die einzigen Männer, mit denen ich gegenwärtig zusammentreffe, sind Journalisten. Das ist nicht sehr lustig. Seit dieser Geschichte sind sie wie die Wilden hinter mir her.«
»Nakamura war Journalist«, sagte ihre Mutter nachdenklich. »Weißt du, mit ihm war ich nie sehr glücklich, aber es war intensiv.«
Sie aßen zusammen in der eleganten kleinen Eßecke ihrer Mutter. Es gab Wein, und Weihnachtsschinken, und einen Brotaufstrich aus neu entwickeltem Scop aus England, der wie Pate schmeckte. Sie hätte es pfundweise essen können.
»Es ist gut, aber es schmeckt doch nicht so ganz wie Pate«, klagte ihre Mutter. »Ich finde, es hat einen etwas fischigen Beigeschmack.«
»Es ist zu teuer«, sagte Laura. »Kostet in der Herstellung wahrscheinlich zehn Cents.«
»Nun ja«, sagte ihre Mutter duldsam, »sie müssen die Entwicklungskosten einbringen.«
»Wenn Loretta groß ist, wird es billiger sein.«
»Bis dahin werden sie Scop in allen Geschmacksrichtungen herstellen.«
Der Gedanke war etwas beängstigend. Ich werde älter, dachte Laura. Veränderung an sich beginnt mir Angst zu machen.
Sie schob den Gedanken von sich. Zu zweit spielten sie mit Loretta, bis Schlafenszeit war. Dann unterhielten sie sich noch ein paar Stunden lang, tranken Wein und aßen Käse und waren zivilisiert. Laura war nicht glücklich, aber die Schärfe hatte sich verloren, und sie war der Zufriedenheit nahe. Niemand wußte, wo sie sich aufhielt, und das war ein Segen. Sie schlief gut. Am Morgen tauschten sie Geschenke aus.
Der Zentralausschuß war im Ferienheim Stone Mountain zusammengetreten. Er bestand aus der neuen Vorsitzenden, Cynthia Wu, und den Ausschußmitgliedern Gareia-Meza, McIntyre, Kaufmann und De Valera. Gauss und Salazar waren auf einer Konferenz außer Landes, während der alte Saito zur Kur war. Und natürlich war Suvendra da, glücklich, Laura wiederzusehen, Nikotingummi kauend.
In letzter Zeit hatte sich die Tendenz, ländliche Abgeschiedenheit aufzusuchen, noch verstärkt. Atlanta war eine Großstadt. Es gab immer die geflüsterten Andeutungen, daß es zum Ziel eines Vergeltungsangriffs gemacht werden könnte.
Das Essen entsprach der Umgebung. Linsensuppe, Salat und Vollkornbrot. Freiwilligkeit, Einfachheit - sie alle aßen es und versuchten sich in elitärer Großherzigkeit.
Das Büro für Telekommunikation war ein Rückgriff auf Frank Lloyd Wright, ein durchbrochener Betonklotz mit Glaseinsätzen, unterhöhlt und mit versetzten Ebenen in strenger geometrischer
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