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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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gedrängt und jammernd verlangt, dass er sie heim nach England brachte, wie sie es ausdrückte. Doch er hatte durchgehalten.
    Die weitere Entwicklung war unaufhaltsam gewesen. Im Rückblick kam es Harold sogar manchmal so vor, als sei das Zuckerrohr gleichsam über Nacht zum Hauptgewächs auf Barbados geworden, obwohl die Entwicklung bis zum ersten nennenswerten Ertrag an verwertbarem Muscovado etliche Jahre in Anspruch genommen hatte. Heute war er neben Noringham der reichste und mächtigste Pflanzer auf der Insel. Er war stolz auf das, was er geschaffen hatte, und er würde jeden töten, der versuchte, ihm das wegzunehmen. Andere dachten ebenso wie er. Sie alle hatten zu viel geschuftet, um das so hart Errungene preiszugeben. Es galt, die Insel zum Kampf zu rüsten. Heute auf der Versammlung würden sie darüber sprechen.
    Sein Mund wurde zu einem grimmigen Strich, als er den Weg hinter dem letzten Zuckerrohrfeld erreichte und sich der Blick auf das große Herrenhaus der Noringhams öffnete. Es war ein lang gestreckter Bau mit zwei kürzeren, landwärts ausgerichteten Flügeln. Die große Veranda auf der Frontseite wies zum Meer. Die Säulen, die das Vordach stützten, waren im dorischen Stil gehalten, fast wie bei einem griechischen Tempel, von denen er schon welche auf Gemälden gesehen hatte. Die Wände des Hauses waren weiß getüncht, so hell, dass es blendete, wenn die Sonne direkt darauf schien. Das Haus war groß und ansehnlich, keine Frage, aber mit Dunmore Hall konnte es nicht mithalten.
    In der Nähe des Hauses sah er Lady Harriet Noringham, die dort blühende Zweige von einem Baum schnitt, offenbar für ein Gesteck. Er wusste, dass sie Blütengestecke liebte. Wieder spannte sich Harolds Hand in dem Bemühen, dem Griff zur Peitsche zu widerstehen. Es war wie ein Reflex, er konnte nichts daran ändern. Kurz schoss ihm die Frage durch den Kopf, ob es auch anderen auffiel, und falls ja, was sie darüber denken mochten. Doch dann sagte er sich mit einem Aufflackern von Trotz, dass es keine Rolle spielte, denn wann hätte ihn je gestört, was andere über ihn dachten? Er wusste, dass niemand ihn liebte. Wer brauchte das schon? Es gab andere, bessere Möglichkeiten, Macht über Menschen auszuüben. Ein- oder zweimal war er in jüngeren Jahren dem Irrglauben aufgesessen, Liebe erfahren und geben zu können, doch davon hatte das Leben ihn rasch kuriert.
    Lady Harriet war alt geworden, wie Harold feststellte. Auf eine kalte, unbeteiligte Weise befriedigte ihn das. Das Leben auf der Insel hatte es nicht besonders gut mit ihr gemeint. Ihre früher schlanke Figur war hager, der Busen unter dem eleganten Seidenkleid beklagenswert flach, das Schlüsselbein über dem Ausschnitt knochig. Ihr Haar war vollständig ergraut. Das Gesicht, ein Antlitz von sorgsam gehüteter Blässe, schien dagegen alterslos, was Harold verwunderte, denn die Falten um ihre Augen und in den Mundwinkeln waren nicht zu übersehen. Während er über diesen seltsamen Widerspruch nachsann, wandte sie sich lächelnd zum Haus und rief etwas, das er nicht verstand. Harold folgte ihrer Blickrichtung und sah, dass auf der Veranda Anne und Elizabeth aufgetaucht waren. Elizabeth war bereits seit Tagen auf Summer Hill, vorgeblich, um Anne bei den Vorbereitungen des Verlobungsfestes zu helfen, doch Harold wusste, dass sie einfach nur die Gelegenheit nutzen wollte, aus Bridgetown und vor allem von Dunmore Hall wegzukommen. Sie hatte sogar, was sie selten tat, den Kleinen in der Obhut der Amme zurückgelassen. Der Tod ihres Vaters und der Zwischenfall in der Nacht vor zwei Wochen hatten sie stark mitgenommen. Tagelang war sie überhaupt nicht aus ihrem Zimmer herausgekommen. Er versagte es sich, länger an sie zu denken, denn das würde nur wieder Gedanken an Robert in ihm wachrufen, und das war mehr, als er für den Moment ertragen konnte. Stattdessen zog er seine Taschenuhr heraus. Erleichtert sah er, dass es endlich so weit war. Wie zur Bestätigung dieser Feststellung erschien im nächsten Augenblick ein Schwarzer mit einer Glocke. » Die freien Pflanzer von Barbados rufen zur Versammlung! Die Versammlung beginnt!« Harold schob die Uhr zurück ins Futteral und ging hinüber zum Haus.
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    W illiam Noringham stieß sich von der Säule ab, an der er lehnte. Er verneigte sich kurz.
    » Die Damen mögen mich entschuldigen, es ruft die Pflicht.«
    Er lächelte zuerst Elizabeth, dann seine Schwester an, bevor er sich zurückzog. Die Versammlung der Pflanzer

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