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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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sie heraus und holte damit aus. Dicht vor ihren Augen ließ er die Schnur aus gedrehtem Büffelleder knallen. » Ich zerschneide dir das Gesicht, wenn er dir nahe kommt.«
    Sie war zurückgezuckt wie vor einer zustoßenden Schlange.
    » Ich hüte mich vor ihm, Sir. Das schwöre ich bei Gott!«
    » Wenn er dich anfasst und du ihn ranlässt, töte ich dich.«
    Sie nickte nur, das Gesicht eine Maske der Angst.
    Er wandte sich ab und ließ sie stehen, um seinen Weg zum Herrenhaus fortzusetzen. Kaum hatte er ihr den Rücken zugekehrt, bemühte er sich nach Kräften, nicht mehr an sie zu denken. Egal wie hell ihre Haut war, sie war nur eine Negerin.
    Er rieb seinen linken Oberschenkel, der ihm ein wenig wehtat. Manchmal, wenn er länger auf den Beinen war, spürte er noch die Folgen des Knochenbruchs, den er sich auf der Eindhoven zugezogen hatte. Er drückte mit den Fingern gegen die Stelle, die sich trotz des darunter lauernden Schmerzes eigenartig taub anfühlte, fast so, als gehöre sie gar nicht zu seinem Körper. Im Weitergehen sann er über die bevorstehende Versammlung nach. Es stand viel auf dem Spiel. Vielleicht alles, was er hier auf der Insel geschaffen hatte. Er dachte an die Anfänge zurück, jene dunklen Jahre in London, wo er bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr bei seiner Mutter gelebt hatte, einer Hure, die sich den Verstand weggesoffen hatte und an den Folgen der Syphilis langsam verfault war. Er wusste bis heute nicht, warum er gewartet hatte, bis sie von allein gestorben war, denn ihr Gestank, ihr betrunkenes Gegreine und ihre im Delirium ausgestoßenen Schreie hätten auch einen stärkeren Mann als ihn in den Wahnsinn treiben können.
    Damals hatte er bei einem alten und eigenbrötlerischen Tabakkaufmann als Stauer und Träger gearbeitet, hatte auch im Kontor geholfen und dabei alles aufgeschnappt, was es über den Tabakhandel zu wissen gab. Bis er schließlich im Auftrag dieses Kaufmanns als Teilnehmer einer Expedition nach Barbados gesegelt war, weil es damals hieß, dort könne man gewinnbringend neue Gebiete für den Tabakanbau erschließen. Gemeinsam mit ein paar anderen abenteuerlustigen Händlern hatte er die Insel in Augenschein genommen. Das Land war mit dichtem Dschungel bewachsen und folglich fruchtbar, das feuchtheiße Klima ideal für den Tabak. Feindliche Ureinwohner, die ihnen die Insel hätten streitig machen können, gab es dort nicht, Barbados war menschenleer. Als er mit der guten Nachricht nach London zurückkehrte, war der Kaufmann tot, dahingerafft vom Wechselfieber. Das Kontor war geschlossen, die Lagerbestände verkauft. Aber nur Harold wusste von den versteckten Goldvorräten des Kaufmanns, die nach seiner Überzeugung allein ihm gebührten. Immerhin war er derjenige, der das Lebenswerk des Mannes fortführte und dafür bereits alles in die passenden Bahnen gelenkt hatte. Drei Tage später starb Harolds Mutter – als hätte sie ihm wenigstens am Ende ihres Lebens einen Gefallen erweisen wollen. Schon in der Woche darauf bestieg er mit seinem Gold das nächste Schiff in die Karibik.
    Das Konsortium der Kaufleute, denen der König die Nutzungsrechte an der Insel übertragen hatte, bestand aus ein paar Dutzend unerschrockener Pioniere, die Harold als einen der Ihren betrachteten. Gemeinsam legten sie Sumpfgebiete trocken, bauten mithilfe von ein paar Dutzend Schuldknechten und Sklaven eine Reihe von Hütten und einen befestigten Hafen und zwangen dem auf der Insel wuchernden Dschungel Anbauflächen für Tabak, Indigo und Baumwolle ab. Tag und Nacht hatten sie geschuftet, jeder für sich ein vielversprechendes Stück Land in Besitz genommen und beackert, bis nach langen und mühevollen Monaten die ersten Ernten weni gstens einen Teil der Aufwendungen wieder hereinbrachten.
    Das war mittlerweile über zwanzig Jahre her, die meisten Pflanzer hatten sich in den Folgejahren mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen. Viele waren gestorben, und Harold hatte ihr Land aufgekauft, soweit es an sein eigenes grenzte. Martha war die Witwe eines solchen Pflanzers gewesen, er hatte sie geheiratet und auf diese Weise kostenlos ein großes Stück Land dazugewonnen. Dennoch hatte es harte Zeiten gegeben, mit endloser Plackerei, Hunger, Elend und Missernten. Etliche der ersten Siedler hatten aufgegeben und waren um der Gesundheit ihrer Familien willen nach England zurückgekehrt. Andere hatten es zumindest vorgehabt. Harold war da keine Ausnahme, denn Martha hatte unablässig darauf

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