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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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Barbados. Der Tag der Hinrichtung stand fest – in zwei Tagen sollte es so weit sein. Ein paar Zimmerleute hatten schon angefangen, den Galgen vor dem Garnisonshaus zu reparieren. Der Querbalken war morsch geworden und über Nacht abgebrochen.
    Aus der Dunkelheit schräg hinter sich hörte Akin ein Trillern, wie von einem Vogel. Das musste der Ire sein, der offensichtlich zu dumm war, um zu wissen, dass diese Vogelart am Morgen sang. Akin antwortete mit einem anderen Vogelruf, einem, der zur Dunkelheit passte. Nun fehlte noch das Zeichen von Dapo, dem dritten Mann. Doch bevor es ertönte, hörte er Celias Schrei. Ohne zu zögern oder sich um mögliche Beobachter zu scheren, sprang er auf, spurtete zur Tür des Anbaus und stieß sie auf. Der Vorraum war leer. Auf dem Tisch lagen zerknitterte Spielkarten neben einer Flasche Rum und einem fettigen Brett mit Essensresten. Er rannte um die Ecke in den Gang, von dem die vergitterten Zellen abgingen. Die erste war leer, die zweite auch. In der dritten kniete ein vierschrötiger Mann auf Celia, während ihr ein anderer etwas aufs Gesicht presste.
    Der Mann, der Celia festhielt, blickte auf und sah Akin.
    » Verfl …« Sein Ausruf endete in einem feuchten Gurgeln, sein Kopf kippte nach hinten. Akins Machete hatte seinen Hals bis zum Rückenmark durchtrennt. Fontänen von Blut versprühend, sackte der Körper auf den Zellenboden.
    Der andere Wachmann, von Akins zweiter Machete getroffen, stierte in Schockstarre den blutspritzenden Stumpf seines Arms an, dann wirbelte die Machete erneut durch die Luft, und ihm widerfuhr dasselbe Schicksal wie dem anderen. Während auch er mit haltlos baumelndem Kopf wegsackte, schob Akin sich beide Macheten zurück in den Gürtel, packte Celia, hob sie auf seine Arme und rannte denselben Weg zurück, den er gekommen war. Ian und Dapo waren da, sie deckten den Rückzug, die geladenen Pistolen im Anschlag.
    Sie hatten mit mehr Widerstand gerechnet, sogar mit einem Schusswechsel. Doch niemand stellte sich ihnen in den Weg. Die übrigen Wachleute der Garnison hielten sich beim Hauptgebäude und in den Schlafbaracken auf oder befanden sich auf Patrouille. Alles in allem waren höchstens ein halbes Dutzend Männer auf Wache. Die anderen schliefen den Schlaf der Erschöpfung, da sie in Erwartung der englischen Kriegsflotte seit Tagen von früh bis spät exerzieren mussten. Was nicht bedeutete, dass die Fliehenden unentdeckt geblieben wären: Eine alte Frau kam mit einer Laterne um die Ecke und blinzelte mit trüben Augen in die Dunkelheit, als sie ihrer ansichtig wurde.
    » Jamie, bist du das?«, fragte sie. » Warst du schon wieder bei den Huren?«
    » Ich bin nicht Jamie«, sagte Ian entschuldigend, während er mit Dapo panische Blicke wechselte. Doch die Frau murmelte nur vor sich hin und ging einfach weiter.
    Dann hatten sie es geschafft. Die letzten Ausläufer der Stadt lagen hinter ihnen, sie schlugen den Weg nach Norden ein, zu den Hügeln im Landesinneren. In sicherer Entfernung blieben sie stehen. Ian entzündete die mitgeführte Laterne, und Akin hockte sich hin, Celia in den Armen. Sie war zu sich gekommen und stöhnte leise.
    » Kannst du laufen?«, fragte er.
    Sie nickte sofort und wollte aufstehen, fiel aber kraftlos zurück. Da erst bemerkte er das Blut, das an ihren nackten Beinen herablief. Sie war über und über mit dem Blut der Wachmänner besudelt, doch dieses hier war frisch.
    » Du bist verletzt«, sagte er, fieberhaft ihr Gewand hochstreifend und nach der Wunde suchend. Als er sah, dass das Blut zwischen ihren Beinen hervorsickerte, fluchte er unterdrückt.
    » Was ist los?« Ian kam näher. Sein sommersprossiges junges Gesicht zeigte einen besorgten Ausdruck. » Ist sie verwundet worden?« Er sah das Blut und schluckte. » Ist das … Äh, es ist wohl kein Monatsübel, oder?«
    » Es war eine Fehlgeburt«, sagte Celia mit schwacher Stimme.
    » Oh, verdammt. Das tut mir leid. Ich wusste gar nicht …« Er verstummte betreten.
    » Haben die Männer dich geschändet?«, fragte Akin. » Hast du es dadurch verloren?«
    Celia nickte stumm.
    Akin legte den Kopf zurück und stieß einen Schrei aus, der Ian zurückfahren ließ. Fragend wandte sich der junge Ire zu dem anderen Schwarzen um.
    » Heilige Muttergottes! War es seins?«, flüsterte er.
    Dapo nickte.
    Akin schrie noch einmal gequält auf, das Gesicht in Richtung des nahezu vollen Mondes gewandt, der wie eine riesige, bleiche Silbermünze über den Hügeln hing. Dann beugte

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