Inseln im Wind
er sich über Celia und legte seine Stirn an die ihre. Sie hob die Hand und strich ihm durchs Haar.
» Ich werde es überstehen«, sagte sie. » Wir können ein anderes Kind haben. Wenn wir frei sind.«
» Sie werden sterben«, versprach er ihr. Seine Stimme war mit einem Mal unnatürlich ruhig. » Sie werden alle sterben.«
Er nahm sie behutsam auf seine Arme und stand auf. Ian ging voraus und leuchtete mit der Laterne den Weg aus. Dapo hielt sich neben ihm, die Büchse schussbereit in den Händen. Sie eilten weiter, bis sie die ersten Zuckerrohrfelder passiert hatten. Am Rand eines Feldes legte Ian einen Brand, damit ihnen keine Bluthunde nachspüren konnten. Während die Flammen lodernd zum Himmel schlugen und unter Geschrei die Sklaven und Arbeiter aus ihren nahen Hütten angelaufen kamen, hatte die Nacht die Fliehenden längst wieder verschluckt.
Die Flucht der Mulattin und die toten Wärter blieben nach Anbruch des Morgengrauens zunächst unentdeckt, denn ein anderes Ereignis lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich.
Vor dem rosigen Licht, das der nahende Sonnenaufgang an den Horizont malte, tauchte eine Reihe von Segeln auf. Der Wachhabende im Ausguck an der Nordspitze der Insel bemerkte sie zuerst. Er spähte angestrengt durch das Fernrohr und identifizierte die Schiffe schließlich zweifelsfrei als den erwarteten englischen Flottenverband. Eilig machte er dem Befehlshaber der Geschützstellung Meldung, der mit Kanonendonner alle übrigen Inselbastionen warnte. Gleich darauf strömten die Soldaten der Garnison in Bridgetown verschlafen aus ihren Baracken und versammelten sich auf dem Platz vor der Gouverneursresidenz zum Appell. Jeremy Winston kam im Nachthemd aus dem Haus, übernächtigt und mit verstrubbelten Haaren, die wie Stroh nach allen Seiten abstanden. Er hatte einen Degen in der Hand und hielt verstört Ausschau nach eroberungswütigen Rundköpfen. Sein Adjutant musste ihn davon überzeugen, dass die englische Flotte gerade erst am Horizont aufgetaucht war und bis zu ihrem Eintreffen noch mindestens eine Stunde Zeit blieb.
George Penn trat salutierend vor ihn hin und machte Meldung. Er trug den Waffenrock, in dem er auch in der Schlacht von Marston Moor gekämpft hatte, darüber ein pulvergeschwärztes Ungetüm von einem Lederpanzer und als Krönung einen Metallhelm, den er eigens poliert haben musste, denn er glänzte im Licht der aufgehenden Sonne so stark, dass der Gouverneur sich geblendet abwenden musste.
Bei sich hatte Penn die Männer, die er im Hinblick auf den bevorstehenden Konflikt rekrutiert und im Laufe der letzten Wochen in die Garnisonsbaracken einquartiert hatte, darunter zahlreiche freie Arbeiter, ein paar Hundert von den Plantagenbesitzern abgestellte Schuldknechte, etliche Pflanzersöhne sowie einen gewaltigen Haufen zweifelhafter Kerle aus den Docks, die sich ihr Geld sonst auf eine Weise verdienten, über die der Gouverneur lieber nicht nachdenken wollte. Soweit sie überhaupt eine Bereicherung für diese Truppe darstellten, dann gewiss keine, die Gewinn abwarf, im Gegenteil. Jeremy Winston empfand ohnehin schon seit Tagen wachsenden Schrecken ob der anfallenden Kosten und hatte bereits angekündigt, eine besondere Abgabe von allen freien Pflanzern zu erheben, um diese unerhörten Zusatzausgaben abzudecken.
George Penn fochten solche Fragen sichtlich nicht an. Er war ganz in seinem Element und schwitzte aus allen Poren, doch diese Prüfung, die das Klima der Insel ihm auferlegte, ertrug er wie immer mannhaft. Die Truppe, die er hatte aufmarschieren lassen, war aufs Abenteuerlichste bewaffnet, mit Pike, Faustbüchse und Muskete die einen, mit Säbel, Armbrust und Langbogen die anderen. Ähnlich uneinheitlich war die Bewehrung. Man sah Brustpanzer aus Leder oder Metall, runde Helme, Zischäggen, sogar einen Kürassier mit einer roten Plattenrüstung, wie sie die London Lobsters einst unter Sir Haselrig getragen hatten. Manche sahen einfach nur wie das aus, was sie waren: abgerissene Halunken.
Ein leichtes Grausen flog den Gouverneur an, als er diese bunt zusammengewürfelte Schar betrachtete. Royalisten standen hier dicht an dicht neben Anhängern Cromwells, lauter Kerle, die sich auf englischem Boden sofort gegenseitig die Köpfe eingeschlagen hätten, aber hier wurden sie durch einen neuen Patriotismus geeint. Und durch ihre Unfähigkeit. Der Gouverneur ließ sich von seinem Adjutanten – der eigentlich nur sein nichtsnutziger Neffe Eugene war, den er seit Jahren in seinem
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