Inseln im Wind
seine Erbitterung mit all dem Bösen zusammenhing, das ihr auf Dunmore Hall widerfahren war. Es schien ihn schlimmer mitzunehmen als sie selbst.
» Edmond, du läufst zu schnell«, sagte sie außer Atem. » Wir sind doch schon weit genug weg von Bridgetown!«
Er wurde sofort langsamer und lächelte sie reumütig an.
» Verzeih. Ich bin ein rücksichtsloser Dummkopf.«
In diesem Augenblick begriff sie, was sie schon die ganze Zeit gespürt hatte. Gott helfe ihr, sie liebte ihn.
45
E lizabeth hatte sich durch die Finsternis in Felicitys Kammer getastet, die neben ihrer lag, und hatte dort nach allerlei blindem Herumstolpern und Rumoren endlich das Nachtlicht gefunden. Ebenso lange brauchte sie, um das Feuerbesteck aufzustöbern, obwohl Felicity ihr die Stelle genau beschrieben hatte. Ihre Cousine hätte auch selbst danach suchen können, doch sie hatte sich schlicht geweigert, in der Finsternis umherzuirren. Elizabeth hatte sie nicht deswegen bedrängt, denn es war offenkundig, dass Felicity am Ende ihrer Kräfte war. Schon ein dunkles Zimmer reichte, um alle Schrecken der Vergangenheit in ihr auferstehen zu lassen. Endlich hatte Elizabeth die Kerze entzündet und kehrte in ihre Kammer zurück. Felicity sprang vom Bett auf.
» Gott sei Dank!«, stieß sie erleichtert hervor.
Sie sah schrecklich aus. Ihr Haar war zerrauft, ihr Kleid verschwitzt und zerknittert, und unter ihren Augen lagen tiefe Ringe. Elizabeth konnte bei diesem Anblick nur vermuten, dass sie selbst ebenfalls kein Bild der Frische bot. Doch das kümmerte sie herzlich wenig. Sie wollte nur noch weg. Egal, wie dunkel es war und ob auf der Insel Aufruhr herrschte – sie würde sich ihr Kind zurückholen, nichts anderes zählte in diesem Augenblick. Nur eins blieb noch zu tun.
» Wir müssen nach Martha sehen, bevor wir gehen.«
Felicity nickte widerstrebend.
» Das müssen wir wohl. Aber ich werde ihr die Meinung sagen! Die Frau hat die ganze Zeit ihren Rausch ausgeschlafen, während wir uns zu Tode geängstigt haben!« Sie fuhr zusammen. » Was war das?«
Elizabeth hatte es auch gehört. Ein Knarren von Holzdielen.
» Das ist Martha. Es kam aus ihrem Zimmer.«
Felicity atmete durch, dann meinte sie verächtlich:
» Natürlich. Jetzt wacht sie endlich auf, nachdem alles vorbei ist und wir frei sind!«
Die Tür zu Marthas Kammer stand offen und, wie beim Betreten des Raums zu sehen war, auch das Fenster. Der weiße Mückenschleier wehte gespenstisch im Wind. Direkt davor zeichnete sich eine hünenhafte Gestalt ab, dunkel wie die Nacht. Es war ein Schwarzer, und als er zu ihr herumfuhr, erkannte Elizabeth ihn. Es war Akin.
Felicity stieß einen schrillen Schrei aus und wich auf den Gang zurück. Elizabeth blieb wie erstarrt stehen, während ihr Blick mit dem seinen verschmolz. Ihr Körper schien ihr nicht mehr zu gehorchen, sie konnte sich nicht bewegen.
Der Tag ist gekommen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie wusste nicht, warum sie das dachte, doch es erschien ihr von leuchtender Klarheit. Wie hypnotisiert betrachtete sie Akin, sah das Weiße in seinen Augen, die eingekerbten Narben auf seinen Wangen, den tiefschwarzen Schimmer seiner Haut. Er war barfuß und nackt bis auf die schäbigen Breeches, die fast alle Sklaven bei der Arbeit trugen. Über seinem Leib kreuzte sich ein doppelter Waffengurt, schwer bestückt mit Patronenhülsen, Messerscheiden und einem Futteral für eine Faustbüchse. Er tat einen tiefen Atemzug, dann drehte er sich weg und war im nächsten Augenblick verschwunden, absolute Lautlosigkeit hinterlassend. Der dünne Vorhang flatterte im Luftzug.
Auf dem Bett lag Martha, reglos und stumm. Das Laken, mit dem sie zugedeckt war, war bis zum Kinn hochgezogen, doch Elizabeth musste es nicht zurückschlagen, um zu erkennen, dass Martha tot war. Ihr Mund stand weit offen, die Zunge war fast bis zum Kinn herausgestreckt, die Augen quollen förmlich hervor, gläsern erstarrt im Todeskampf. Vorsichtig lupfte Elizabeth nun doch einen Zipfel der Decke, sie sah sofort die Würgemale an Marthas Kehle. Die Drosselschlinge war noch da – es war die Goldkette, die sie immer mit solchem Stolz getragen hatte, Harolds Hochzeitsgeschenk.
» Oh, mein Gott!«, flüsterte Felicity, die sich wieder ins Zimmer gewagt hatte. » Ist sie …? – Allmächtiger! Der Schwarze hat sie umgebracht!«
Auf der Stelle fing sie wieder an zu schluchzen und warf sich Halt suchend in Elizabeths Arme. In diesem Augenblick erklang vom Hafen her
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