Inseln im Wind
Bereitschaft zum Töten. Ob es nun an dieser verstörenden Erkenntnis lag oder an der nachlassenden Anspannung – Elizabeth brach in Tränen aus und konnte sich nur schwer wieder beruhigen, obwohl er sie geduldig wiegte und tröstende Worte in ihr Haar murmelte.
» Wir müssen zurück nach Bridgetown«, sagte er irgendwann. » Die Sonne geht bald unter.«
Elizabeth riss sich zusammen.
» Tut mir leid. Eigentlich hasse ich dieses Geflenne. Es war nur so …« Sie schüttelte den Kopf, weil sie keine Worte dafür fand. Mit einem Zipfel ihres Gewands rieb sie sich die Augen trocken und atmete zitternd aus. » Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich gerettet hast.« Es kam aus tiefster Seele, und sie schwor sich, ihm niemals wieder diese dunkle Seite seines Wesens vorzuwerfen, weder mit Worten noch in Gedanken.
Duncan konzentrierte sich bereits wieder auf andere Probleme, der ganze Vorfall schien ihn nicht sonderlich zu belasten.
» Sie hatten Gewehre und Pistolen«, sagte er nachdenklich und wie zu sich selbst, während sie nebeneinander in westlicher Richtung weiterritten. » Und sie konnten damit umgehen.«
» Das müssen welche von den Sklaven und Schuldknechten gewesen sein, die auf Rainbow Falls entlaufen sind. Ich hörte die Leute darüber reden, dass die Aufständischen gerade im Norden wieder mit Überfällen die Gegend unsicher machen sollen.«
Duncan runzelte die Stirn.
» Dahinter steckt mehr. Möglicherweise drohen uns nicht nur von der englischen Flotte böse Überraschungen. Das war nicht bloß versprengtes Lumpengesindel auf einem Raubzug. Sie haben wie ein Stoßtrupp gehandelt, eine Art Vorhut, koordiniert und durchdacht.«
» Woran hast du das gesehen?«
» Das ist Erfahrung, man kann es schlecht beschreiben. Es ist wie bei der Dünung. Ich erkenne die Vorboten des Sturms, wenn ich sie sehe.« Er trieb den Wallach zu größerer Eile an. » Ich schätze, vor uns liegt eine Nacht der Entscheidungen.«
Seine Worte im Ohr, folgte Elizabeth ihm in scharfem Trab. Eine Nacht der Entscheidungen. Vorboten des Sturms … Der Sturm! Sie erinnerte sich, dass sie davon geträumt hatte, und mit einem Mal spürte auch sie ihn jenseits des Horizonts nahen.
Duncan brachte Elizabeth ohne Umwege und so rasch wie möglich nach Dunmore Hall zurück. Er bat sie um Schreibzeug und kritzelte eine Nachricht, die er zusammenfaltete und einem seiner Männer überreichte. Unter vier Augen erteilte er ihm genaue Anweisungen, was damit zu tun sei, worauf der Mann im Laufschritt in Richtung Hafen davoneilte. Den drei anderen befahl Duncan, das Tor mit aller Entschlossenheit zu verteidigen. Für den Fall, dass Harold Dunmore auftauchte, erhielten sie Order, ihn möglichst unauffällig zu töten und seine Leiche verschwinden zu lassen. Duncan blieb nicht verborgen, dass Elizabeth bei diesen Worten zusammenzuckte, so wie ihm auch bei anderen Gelegenheiten nicht entgangen war, dass sie ihn für einen blutrünstigen Schurken hielt. Allerdings konnte er auf derlei Empfindsamkeiten keine Rücksicht mehr nehmen. Das hier war nicht das beschauliche Raleigh Manor, wo sie abgeschirmt von der blutigen Realität der übrigen Welt aufgewachsen war, ohne jemals Hunger oder Elend kennenzulernen. Die Schicksalsschläge, die sie durch den Verlust ihrer Mutter und Geschwister und zuletzt auch ihres Vaters erlitten hatte, mochten sie zwar arg gebeutelt haben, doch um ihr nacktes Leben hatte sie niemals kämpfen müssen. Oder gegen einen Mann wie Harold Dunmore. In Duncan war mittlerweile ein furchtbarer Verdacht aufgekeimt. Mit Elizabeth hatte er noch nicht darüber gesprochen – sie hätte ohnehin nur wieder nichts davon hören wollen –, aber er würde doppelte Vorsicht walten und sich dabei von niemandem dreinreden lassen.
Während Duncan in die Stadt weiterritt, frischte der Wind auf. Er hatte das erwartet, doch seine Sorgen wurden dadurch nicht geringer. Als er in Bridgetown ankam, fand er alsbald seine Befürchtungen wegen der Aufständischen bestätigt – wie ein Lauffeuer ging die Nachricht um, dass mittlerweile in fast allen Parrishes Hunderte von Sklaven und Schuldknechten entlaufen waren. Soweit sie sich nicht versteckt hielten, gingen sie mit äußerster Grausamkeit gegen ihre Besitzer vor. Pflanzer, die es abgelehnt hatten, sich mit ihren Männern der Bürgerwehr anzuschließen, und stattdessen auf ihren Ländereien geblieben waren, hatten die Sorge um ihr Eigentum einer nach dem anderen mit dem Leben bezahlt. Nach und nach
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