Inseln im Wind
waren immer mehr Einzelheiten über die Gräueltaten durchgesickert. Menschen, die knapp den Massakern entronnen waren, hatten sich im Laufe des Tages nach Bridgetown durchgeschlagen, darunter einzelne Pflanzer mitsamt ihren Familien sowie ihnen treu ergebene Sklaven und Arbeiter, die ihre Knechtschaft dem ungewissen Leben in Freiheit vorzogen. Sie berichteten von schwer bewaffneten, fast militärisch auftretenden Horden, die nicht nur auf den Pflanzungen, sondern auch in manchen kleineren Ortschaften Angst und Schrecken verbreitet hätten. In einem Dorf habe eine Bande von Schuldknechten und Schwarzen die dort lebenden Menschen wie Vieh zusammengetrieben, und diejenigen, die dagegen aufbegehrt hatten, seien niedergemetzelt worden.
In der aufgeregten Menge hielt Duncan Ausschau nach Willia m Noringham. Als er ihn nirgends entdeckte, fragte er Eugene Winston nach ihm. Der wusste zu berichten, dass Noringham schon vor einer Stunde aufgebrochen sei.
» Ein paar Leute aus Holetown haben bei ihm vorgesprochen. Die waren wohl heute im Laufe des Tages auf Summer Hill und haben da seine tote Mutter und noch einen Haufen anderer Leichen gefunden. Er hat hier sofort alles stehen und liegen lassen und ist auf und davon. Ich hab ihn noch gefragt, was das soll, ausgerechnet jetzt, wo uns der Krieg so nah bevorsteht. Und wo bei ihm auf der Plantage sowieso schon alle tot sind – wen will er dann da noch retten?« Empört zog Eugene die Schultern hoch. » Er hat mir mit Schlägen gedroht. Mir! Der ich bis zum letzten Blutstropfen für unsere Freiheit kämpfe!«
Duncan platzte der Kragen.
» Von mir könnt Ihr gleich auch noch eins hinter die Löffel kriegen!«
» Was wollt Ihr damit sagen?«, erkundigte Eugene sich mit rechtschaffener Entrüstung. Aber er wartete nicht auf die Antwort, sondern wandte sich ab. » Ich muss fort. Besprecht alles Weitere, mit wem immer Ihr wollt.«
Duncans Hand schoss vor und umklammerte Eugenes Arm.
» Was ist Euer Plan?«, wollte er mit trügerischer Sanftheit wissen. » Wollt Ihr Ayscue eine Nachricht zukommen lassen, in der Ihr versprecht, Euren Onkel auszuliefern?« Er hob die freie Hand und zupfte angelegentlich an Eugenes Spitzenjabot. » Leitet Euch etwa beim Anlegen dieses Putzes die Hoffnung auf ein nobles Amt, von dem Ihr glaubt, dass es Euch besser zu Gesicht steht als ihm?« Er packte das Jabot und wand es mit kräftigem Zug um seine Hand.
Eugene war dunkelrot angelaufen und blickte sich hastig um, erkennbar besorgt, dass jemand diese Vorwürfe mit angehört haben könnte. Er setzte an, sich aufzuplustern und alles abzustreiten, woran Duncan ihn hinderte, indem er ihm mit gespielter Freundlichkeit die Wange tätschelte.
» Vor Euch liegen noch viele Jahre, bis Ihr auch nur die Hälfte des Verstandes habt, den es für ein solches Amt braucht. Vielleicht geht Ihr einfach für eine Weile ins Chez Claire und vertreibt Euch dort die Zeit, bis alles vorüber ist. Würfelt ein wenig oder trinkt Rum oder hüpft mit Claire in die Kissen – dann könnt Ihr wenigstens keine schlimmen Fehler begehen.« Mit dem Anflug eines Lächelns schüttelte er den Kopf. » Oder sagen wir, keine schlimmeren als ich.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ließ Eugene stehen.
53
D eirdre drehte den Kopf zur Seite, als die Männer ins Lager zurückkehrten. Sie konnte es nur schlecht ertragen, sie zu betrachten, mit ihren rohen Gesichtern und den aggressiven Gebärden und dem Blut, das von ihren Mordtaten noch an ihren Körpern klebte. Sie waren umgeben von einer Aura der Gewalt. Ihre wütenden Stimmen deuteten darauf hin, dass diesmal nicht alles zu ihrer Zufriedenheit verlaufen war. Deirdre konnte nicht alles hören, als sie ihrem Anführer Bericht erstatteten, doch es lief wohl darauf hinaus, dass ihnen ein paar Leute auf dem Weg nach Bridgetown entwischt waren, die überdies nach erbitterter Gegenwehr zwei aus der Gruppe getötet und einen weiteren schwer verwundet hatten. Letzteren hatten sie zurücklassen müssen, weil er sie sonst auf dem Rückweg aufgehalten hätte.
Akin, der riesenhafte schwarze Yoruba, der alle Aufständischen in dieser Gegend befehligte, nahm die Nachricht mit Gleichmut zur Kenntnis. Inzwischen, so erklärte er den Männern, spiele es keine Rolle mehr. Der große Kampf stehe bevor, auf allen Seiten. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Bewaffneten einträfen.
Deirdre schloss aus seiner Gelassenheit, dass er es schon seit einer Weile wusste. Vielleicht hing
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