Inseln im Wind
unglücklichen Robert einen Bogen um ihn machten. Trotzdem stellte Claire sich gut mit dem Alten. Hin und wieder ging sie zu ihm in den Kartenraum, wo er sich notgedrungen die meiste Zeit aufhielt, und erkundigte sich nach seinem Befinden oder fragte, ob sie ihm etwas bringen könne, obwohl er ihre Hilfe meist zurückwies, und das mitunter in brüskem Ton. Doch sie musste ans Geschäft denken – und an seinen persönlichen Einfluss auf Barbados, wo er, nach allem, was sie bisher wusste, ziemlich viel zu sagen hatte. Zu gegebener Zeit würde er sich daran erinnern, dass sie ihn freundlich behandelt hatte, obwohl es ihr nicht immer leichtfiel. Harold Dunmore hatte etwas an sich, das ein unterschwelliges Unbehagen in ihr auslöste, so wie sie es immer empfand, wenn ein Mann einen unberechenbaren Charakter hatte.
Viel einfacher war es, nett zu William Noringham zu sein, ebenfalls ein Mann mit politischem Einfluss und dabei wesentlich liebenswürdiger und vor allem jünger als Harold Dunmore. Welcher im Übrigen den jungen Lord nicht ausstehen konnte, ihn sogar zu hassen schien – der Himmel mochte wissen, warum. Aber auch das würde Claire noch herausfinden, so wie sie auch fast alles andere über die Menschen an Bord in Erfahrung gebracht hatte. Oft war das geradezu lächerlich einfach, denn gewisse Dinge waren so offenkundig, dass sie nicht einmal den Anstrich eines Geheimnisses aufwiesen. Etwa, dass Felicity rettungslos in Niklas Vandemeer verschossen war, so über alle Maßen, dass sie in Tränen ausgebrochen war, als es ans Abschiednehmen ging. Sie hatte derartig geheult, dass sie kaum etwas sehen konnte und deswegen beim Umsteigen vom Fallreep ins Wasser geplumpst war, was für einige Erheiterung unter den Matrosen auf beiden Schiffen gesorgt hatte – und für lüsterne Blicke, als man sie wieder herausgefischt und jede aufreizende Kurve sich unter dem tropfnassen Gewand abgezeichnet hatte. Claire hatte augenblicklich ihren Vorsatz erneuert, dem Mädchen anzubieten, sich unter ihre Fittiche zu begeben, falls sie in ihrer neuen Heimat auf widrige Umstände stoßen sollte.
Ebenso wenig war ein Geheimnis, dass der unselige Robert Dunmore seine junge Braut nicht anrühren durfte, weil sein Vater es ihm verboten hatte. Diese Situation hatte Claire schon ein nettes Sümmchen eingetragen, denn natürlich ließ sie sich dafür bezahlen, dass der junge Dunmore sich bei ihr und ihren Mädchen abreagierte. Und das tat er oft, zuweilen sogar mehrmals täglich. Sein Geschlechtstrieb war unerschöpflich und grenzenlos, er schien förmlich davon besessen zu sein und konnte keine Frau an sich vorbeigehen sehen, ohne ihr unter die Röcke zu wollen. Claire hatte schon einige solcher Männer kennengelernt. Sie kamen nicht wie die anderen Kunden, um ihren Spaß zu haben, sondern aus einem unüberwindlichen inneren Zwang heraus, manchmal bis hin zur völligen Verarmung. Dazu würde es bei Robert Dunmore zweifellos nicht kommen, denn er hatte durch die Heirat nicht nur eine höchst vorteilhafte Mitgift erhalten, sondern konnte auf Barbados genug junge, schöne Frauen und Mädchen haben, so oft und so viele er wollte. Sein Vater besaß eine ganze Reihe von Mägden, von denen jede einzelne Robert zu Willen sein musste, wenn ihm danach war. Sein gutes Aussehen und seine schmeichlerische Art halfen ihm fraglos dabei, häufig zum Zuge zu kommen, Gegenwehr war sicher selten. Außer bei seiner Braut, dieser hochnäsigen englischen Lady, die sich seinen Avancen schon nach kurzer Zeit verweigert hatte. Trotz ihres jugendlichen Alters war Elizabeth Dunmore auf eine Weise dickköpfig und unerschrocken, die Claire ein wenig Bewunderung abnötigte. Das Mädchen schaffte es sogar, dass der alte Dunmore seinen Zorn beherrschte. In ihrer Gegenwart mäßigte er sich in seinen Wutanfällen oder versuchte es zumindest. Ihm war erkennbar daran gelegen, dass sie nicht jede gute Meinung von den Dunmores verlor, noch bevor sie richtig eine der Ihren geworden war. Was Robert anging, war da wohl Hopfen und Malz verloren, doch vielleicht war dafür der Rest der Familie annehmbar, in diesem Fall Roberts Mutter, Harolds Ehefrau Martha Dunmore, obwohl Claire bislang von beiden Männern noch nicht viel über sie erfahren hatte.
» Mutter? Sie ist eben … Mutter«, hatte Robert einmal auf Claires Frage hin gemeint. Verlegen wie ein kleiner Junge war er sofort aus ihrer Kajüte geflüchtet, ohne seine Lust gestillt zu haben, womit Claire ein weiteres Geheimnis
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