Inseln im Wind
eine Lampe anzuzünden.
Claire lehnte sich mit dem Rücken gegen die Halterung der Drehbasse. Das Ding war hart und sperrig, und sie überlegte bereits, ob sie nicht lieber wieder aufstehen und in die Kajüte zurückkehren sollte. Vielleicht würden sie gar nicht kommen, doch dann hörte sie die leichten Schritte und das befreite Seufzen. Elizabeth hatte die Kajüte verlassen und kam nach achtern. Ihre Röcke raschelten im Wind, als sie den gewohnten Platz einnahm. Oft stand sie stundenlang hier oben, den Blick aufs Meer gerichtet, als gebe es dort draußen etwas zu sehen, das außer ihr niemand kannte. Diesmal würde die junge Frau nicht lange allein hier stehen bleiben. Claire hatte es von Vivienne erfahren, und die wusste es von John Evers. Dieser hatte Befehl, auf dem Achterdeck Wache zu schieben und aufzupassen, dass niemand an ihm vorbeikam – außer natürlich der Mann, von dem der Befehl stammte.
Claire hörte seine festen Schritte. Tief in die Schatten hinter der Bordkanone geschmiegt, spitzte sie die Ohren.
Elizabeth drehte sich um, als sie die Schritte hinter sich hörte. Beim Anblick von Duncan Haynes wäre sie am liebsten davongerannt, doch bot das Schiff dafür nur begrenzte Möglichkeiten. Ausweichen konnte sie ihm nicht, es sei denn, sie wäre über Bord gesprungen. Einen aberwitzigen Augenblick lang verspürte sie den Impuls, genau das zu tun. Hastig wollte sie sich an ihm vorbeischieben, doch er trat ihr in den Weg.
» Lizzie«, sagte er leise.
» Lass mich vorbei.«
Doch er machte keine Anstalten, zur Seite zu treten. Seine massive Gestalt versperrte ihr den Weg. Im Licht der Abendsonne war sein Gesicht wie in flüssiges Feuer getaucht, die Augen von irrlichternd tiefem Blau. Sein Hemd stand weit offen, genau wie an jenem Tag, als … Elizabeth biss sich auf die Lippe. Sie würde jetzt nicht daran denken.
Die beiden letzten Wochen war es schwierig genug gewesen, in seiner Gegenwart gelassen zu tun. Der verfügbare Raum auf der Elise war so beengt, dass sie ihm kaum aus dem Weg gehen konnte. Die meiste Zeit hatte sie ihren inneren Aufruhr bekämpft, indem sie einfach woanders hingeschaut oder sich mit irgendwem unterhalten hatte. Sogar mit den holländischen Kaufleuten war sie auf diese Weise ins Gespräch gekommen, ebenso mit den Französinnen, deren Lebensgeschichte sie mittlerweile in allen Einzelheiten kannte. Sie hatten Pikett gespielt und über Modefragen getratscht. Von den Holländern hatte sie viel über Warentransporte erfahren, von William Noringham alles Mögliche über den Zuckeranbau und die Freizeitbeschäftigungen seiner Stiefmutter und seiner Schwester. Mit William sprach sie am liebsten, doch da diese Unterhaltungen stets in Hörweite und unter den missmutigen Blicken ihres Schwiegervaters stattfanden, war ihre Freude daran begrenzt. Oft genug wäre sie am liebsten aufgesprungen und aus der Kajüte nach draußen an die Reling geeilt, doch an Deck ging sie nur, wenn sie sicher sein konnte, dass Duncan nicht dort war. Etwa in den Abendstunden nach dem Dinner, wenn er am großen Tisch die Seekarten studierte oder mit den übrigen Passagieren plauderte. Natürlich hätte sie sich jederzeit in den Laderaum zurückziehen können, doch die dunkle, stickige Enge ließ sich kaum aushalten. Schlimm genug, dass sie jede Nacht zum Schlafen hinuntersteigen musste.
» Wir sind bald da«, sagte Duncan unvermittelt in ihre wirren Gedanken hinein.
Überrascht sah sie ihn an.
» Du meinst, auf Barbados?«, fragte sie.
Er nickte.
» Weit ist es nicht mehr.«
» Oh, gut«, sagte sie mit tief empfundener Erleichterung. Gleichzeitig verspürte sie jedoch ein vages Gefühl von Leere, wie bei einem bevorstehenden Abschied. Sie schalt sich selbst dafür, denn die Reise mit all ihren Strapazen war wahrhaftig nichts, das man noch länger hätte ausdehnen mögen. Und doch … Das weite, schaumgekrönte Meer, die Endlosigkeit des Horizonts, der gewaltige rote Feuerball, in den sich die Sonne jeden Abend verwandelte. Und dazu gehörten auch, auf unverzeihliche Weise, ihre heimlichen Gedanken an diesen skrupellosen Freibeuter. Die Hitze, die jedes Mal in ihr aufstieg, wenn sie seiner ansichtig wurde und gegen ihren Willen verstohlen beobachtete, wie er mit nacktem Oberkörper in die Takelage stieg oder in straffer Haltung und mit auf dem Rücken gekreuzten Händen auf dem Schanzkleid Posten bezog und dort wie ein Herrscher über sein Reich wachte. Die eigentümliche Faszination, wenn sie sah, wie
Weitere Kostenlose Bücher