Inseln im Wind
sich auf einer Taurolle niedergelassen hatte, bot ausreichenden Sichtschutz, wobei es ihr nicht unbedingt darum ging, sich vor den Matrosen zu verbergen. Die meiste Zeit machte es ihr nicht das Geringste aus, angestarrt zu werden. Schließlich lebte sie von ihrem anziehenden Äußeren. Ihre Schönheit war ihr Kapital, und um damit Gewinn zu machen, musste sie dieses Kapital präsentieren, auch wenn man als Frau dabei stets die gebotene Vorsicht walten lassen musste. Claire hatte den Mädchen geraten, sich einen Beschützer zu suchen. Vivienne hatte sich für den schneidigen Bootsmann John Evers entschieden, Clotilde für den von Kämpfen vernarbten Steuermann und Antoinette für den Proviantmeister, einen gemütlichen Dickwanst, der gelegentlich als Geschenk ein frisches Ei herausrückte. Claire hätte sich gern an den Kapitän persönlich gehalten, doch bisher hatte er kein Interesse bekundet. Also passte sie selbst auf sich auf und hatte immer ein kleines Messer griffbereit im Strumpfband stecken. Elizabeth und Felicity waren das, was man anständige Frauen nannte, während Claire und ihre Mädchen kaum einen Anspruch auf tugendsame Unbescholtenheit hätten erheben können. Die Matrosen an Bord dieser Fregatte sahen das zweifellos genauso. Sie waren wilde, unberechenbare Gesellen. Es entsprach ihrem Wesen als gewohnheitsmäßige Räuber, sich zu nehmen, was sie wollten, und dabei nicht lange zu fackeln. Ihrem Kapitän waren sie bedingungslos ergeben und gehorchten jedem seiner Befehle bis zum letzten Atemzug, doch auf den Rest der Welt spuckten sie. Das machte sie wesentlich gefährlicher als die geknechteten Matrosen auf der Eindhoven.
Natürlich hätten Claire und die Mädchen die Möglichkeit gehabt, auf der größeren und bequemeren Eindhoven weiterzufahren, doch es war fraglich, ob der Westindienfahrer, ramponiert und unbeweglich, wie er war, es überhaupt bis Barbados schaffen würde. Sie hatten sowieso schon großes Glück gehabt, dass sie nicht untergegangen waren, und noch mehr Glück, dass ein anderes Schiff aufgetaucht war, das die Passagiere aufnehmen konnte.
Vandemeer hatte entschieden, die nächste erreichbare Küste anzulaufen, um dort die Eindhoven auf Grund zu setzen und wieder seeklar zu machen. Falls Claire und ihre Mädchen an Bord geblieben wären, hätten sie sich zweifellos auf irgendeiner namenlosen, gottverlassenen Insel wiedergefunden, womöglich gar einer, die von Kannibalen bewohnt war. In jedem Fall hätte es weitere endlose Wochen gedauert, bis sie ein halbwegs zivilisiertes Ziel erreicht hätten, und das auch nur dann, wenn keine Stürme oder Piraten dazwischenkamen, womit in diesen Breiten jederzeit gerechnet werden musste, wie man am Auftauchen der Elise unschwer hatte erkennen können.
Für Claire war es folglich nicht infrage gekommen, auf der Eindhoven zu bleiben. Warum auch, wenn sie und die Mädchen doch in wesentlich kürzerer Zeit und mit deutlich geringerem Risiko auf der Elise fahren konnten. Es kostete sie zwar eine ordentliche Stange Geld – dieser Duncan Haynes war ein veritabler Bandit –, aber davon hatte sie reichlich. Natürlich hatte sie trotzdem mit ihm gefeilscht wie ein altes Marktweib, was ihr insgeheim diebische Freude bereitet hatte, vor allem, weil auch er erkennbar seinen Spaß daran gehabt hatte. Weniger ersprießlich hatte sich dagegen der Handel zwischen Haynes und dem alten Dunmore vollzogen. Der cholerische Pflanzer wäre dem Kapitän wegen dessen unverschämter Forderungen fast an die Kehle gegangen, doch da er die Hand, die ihm helfen sollte, schlecht abschlagen konnte, musste er sich fügen und Haynes’ Preis zahlen. Als besonders demütigend musste Harold Dunmore es empfunden haben, dass er während dieser Unterredung die ganze Zeit wie ein schwacher Greis vor Duncan Haynes auf einem Schemel hocken musste – er hatte sich bei dem Sturm das Bein gebrochen und war zur Unbeweglichkeit verdammt. Anders als die übrigen Passagiere hatte er nicht über die Strickleiter in das Beiboot und von dort auf die Elise steigen können, sondern musste mit dem Ladebaum hinübergeschwenkt werden, festgezurrt in Gurten hängend wie die Stute seiner Schwiegertochter. Auch das hatte seinen Stolz beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen.
Ganz zu schweigen davon, dass er bei jeder noch so einfachen Handreichung die Hilfe seines Sohnes benötigte. Entsprechend brüllte und fluchte er von früh bis spät, zermürbt von Schmerzen und Ungeduld, sodass alle außer dem
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