Inseln im Wind
der stetig wachsenden Zuckerexporte zu einem beliebten Handelsplatz geworden. Und zu einem Ort, an dem sich Glücksritter und anderes Gelichter tummelten, darunter etliche, denen man besser nicht im Dunkeln begegnete. Im Hafen gab es nach Elizabeths Vorstellung mehr Spelunken als anderenorts auf der Welt, doch unter diesen vielen war die bekannteste das Chez Claire. Das Gebäude stach als greller Farbklecks hervor. In sattem Korallenrot gestrichen, war es ein weithin sichtbares Erkennungszeichen für die vergnügungssüchtigen Seeleute aus aller Herren Länder.
Gegen ihren Willen ließ Elizabeth den Blick über das Rund des Hafenbeckens schweifen, und es dauerte nicht lange, bis sie unter den zahlreichen Schiffen die schlanke Silhouette der Elise ausgemacht hatte. Sie zweifelte nicht daran, dass dieser Schuft einer von Claire Dubois’ regelmäßigen Vorzugsgästen war und sich seine Luxuslieferungen, die er für die Französin nach Barbados brachte, reichlich in Naturalien vergüten ließ. Womöglich sogar von der rothaarigen Inhaberin des Etablissements persönlich.
» Die Eindhoven liegt da unten vor Anker«, sagte Deirdre, mit ausgestrecktem Arm auf den großen Westindienfahrer am Rande der Bucht deutend. » Ob Master Vandemeer heute zu der Feier kommt?«
» Darauf gehe ich jede Wette ein«, sagte Elizabeth, den Blick immer noch auf die Elise geheftet.
» Wie schön!«, gab Deirdre arglos zurück. » Miss Felicity wird überglücklich sein!«
Entschieden wandte Elizabeth den Blick vom Hafen weg und trieb zugleich Pearl zu schnellerer Gangart an. Der Wallach trottete hinter der Stute her und fiel ein wenig zurück. Elizabeth ritt an einem Palmenhain vorbei und näherte sich den äußeren Bezirken des Orts.
Das Stadthaus der Dunmores tauchte in ihrem Blickfeld auf. Vor kaum drei Jahren erbaut, war es noch recht neu gewesen, als Elizabeth damals eingezogen war. Die Schönheit der strahlend weiß getünchten Villa hatte sie und Felicity mit den Strapazen der Reise ein wenig versöhnt. Dunmore Hall, wie das Anwesen allgemein ein wenig euphemistisch genannt wurde, konnte gewiss nicht ihr Zuhause in Raleigh Manor ersetzen, doch für diese Breiten bot es ein Höchstmaß an Komfort. Niemand auf der Insel besaß ein so geräumiges und gut ausgestattetes Domizil. Von einer mehr als mannshohen Mauer umgeben, wirkte es von außen mit seinen kleinen Fenstern gedrungen und fast trutzig, doch betrat man erst den weitläufigen Innenhof, offenbarte sich die großzügige Architektur. Mit seinem umlaufenden Säulengang und den zur Hofseite hin weisenden großen Türen bot das Erdgeschoss dem Betrachter vom Patio aus einen offenen Blick auf die großzügig angelegten Räume. Das Obergeschoss war von Loggien umgeben, breit zum Innenhof hin und schmaler zur Außenseite. Überall waren duftende Blütenpflanzen angelegt, die Auge und Nase schmeichelten. Die Küche befand sich in einem Anbau, ebenso wie die Stallungen für die Pferde und den Wagen. Auch die Dienstboten bewohnten einen eigenen Trakt.
Elizabeths Schwiegervater hatte den Bau dieses herrschaftlichen Anwesens sorgfältig und bis ins Detail selbst geplant und ein Vermögen dafür ausgegeben. Er hatte, wie er selbst sagte, damit etwas schaffen wollen, das Generationen überdauerte und seiner Familie das Ansehen verlieh, das ihr gebührte. Umso mehr wunderte es Elizabeth, dass er sich so selten dort aufhielt, sondern es offenbar vorzog, den größten Teil seiner Zeit auf Rainbow Falls zu verbringen. Nicht, dass seine Abwesenheit sie oder irgendwen sonst im Haus gestört hätte. Die Dienstboten zitterten vor seinem Zorn, desgleichen Robert, der sich meist verdrückte, sobald sein Vater sich blicken ließ. Sogar Martha zog sich regelmäßig mit Migräne zurück, wenn ihr Gatte zugegen war, und auch Elizabeth und Felicity fanden immer eine Ausrede, wenn es darum ging, seiner Gesellschaft zu entfliehen. Es verursachte Elizabeth ein beinahe körperliches Unbehagen, wenn er in dumpfem Grübeln vor sich hinstarrte, um ihr dann ganz unvermittelt eine zusammenhanglose Frage zu stellen, etwa, indem er sich erkundigte, wie der Kleine sich mache oder ob sie mit allem zufrieden sei.
Es kam auch vor, dass er aufsprang und aus nichtigem Anlass wütend herumbrüllte. Manchmal griff er zur Peitsche, um einen der Dienstboten vor versammelter Familie zu züchtigen, wofür als Grund schon ausreichte, dass das Brot zu hart war oder ein unglückliches Serviermädchen ein paar Tropfen Wein
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