Inseln im Wind
aus diesen meist sehr kurzen Liebschaften hervorgegangen seien und über die ganze Insel verteilt lebten, von Robert ebenso ignoriert wie von Harold. Konsequenzen hatte Robert bisher keine fürchten müssen, bis auf ein einziges Mal im vergangenen Jahr, als er die jüngste Tochter eines wohlhabenden Pflanzers verführt und geschwängert hatte. Das Mädchen war ein halbes Jahr später bei der Geburt gestorben und das Kind mit ihr. Ihr Vater, vor Trauer und Zorn völlig außer sich, hatte versucht, Robert zu erschießen, ihn jedoch verfehlt. Daraufhin hatte er mit dem Degen nachhelfen wollen, aber im Zweikampf mit Robert den Kürzeren gezogen und eine schwere Wunde davongetragen. Nach entsprechender Genesungszeit hatten er und seine Frau Barbados für immer den Rücken gekehrt. Harold Dunmore hatte über einen Strohmann die benachbarte Plantage gekauft und damit seinen riesigen Landbesitz weiter vergrößert.
Der ganze Vorfall war für Elizabeth ein bitteres Lehrstück gewesen, nicht nur, was Roberts unverbesserlichen Charakter betraf, sondern auch die Erkenntnis, dass jedwedes skrupellose Verhalten der Dunmores ausschließlich deren Vorteil zu mehren schien. Vielleicht hatte Harold Dunmore bis dahin wirklich gedacht, Robert würde durch eine Heirat vernünftig werden. Elizabeth hatte ebenfalls eine Zeit lang geglaubt, sie könnten eine normale Ehe führen. Deshalb hatte sie ihren Widerwillen bezwungen und nach Jonathans Geburt wieder mit Robert geschlafen, in der Hoffnung, er werde sich von seinen anderen Amouren abwenden und ein liebender Familienvater werden. Dieser Wunsch hatte sich für immer zerschlagen, als die Affäre mit dem armen Mädchen publik wurde.
Eine andere, nicht minder naive Hoffnung hatte Elizabeth schon Monate vor diesem Zwischenfall begraben: Bis zu ihrer Niederkunft hatte sie geglaubt, Duncan werde sie – irgendwann und irgendwie – von dieser Insel fortholen und mitnehmen, egal wohin. Mittlerweile war ihr gänzlich unbegreiflich, wie sie je so dumm hatte sein können, sich dergleichen einzubilden. Nicht, dass er sich von Barbados ferngehalten hätte. Tatsächlich war Duncan Haynes im Laufe der letzten beiden Jahre mehr oder minder regelmäßig auf der Insel aufgetaucht. In gewohnter Manier hatte er mit den Plantagenbesitzern geschachert und dabei seine Gewinne gemacht. Aber Elizabeth hatte er gemieden, und wenn sie sich – auch das war hin und wieder vorgekommen – doch einmal bei gesellschaftlichen Anlässen über den Weg gelaufen waren, hatte er sich nach einer höflichen Begrüßung rasch wieder abgewandt. Die letzten Male war sie diejenige gewesen, die ihn mit Verachtung strafte und immer, wenn sie ihn auch nur von Weitem erblickte, den Ort des Geschehens rasch verließ.
» Achtung!«, rief Deirdre. » Da vorn im Gebüsch!«
Elizabeth zog die Zügel straff und verhinderte im letzten Moment, dass Pearl scheute, während es vor ihnen im Gebüsch raschelte und dann ein wilder Eber in einem Schauer von Blättern hervorbrach und mit einem Grunzen davonstob. Elizabeth schnalzte mit der Zunge und rieb Pearl zwischen den Ohren, bis die Stute das nervöse Tänzeln eingestellt hatte. Der Wallach war stoisch stehen geblieben. Er störte sich weniger an der einheimischen Fauna, weil er auf der Insel geboren und aufgewachsen war. Elizabeth lenkte die Stute um ein Hartholzdickicht herum und erreichte dann offenes Gelände. Sie zügelte Pearl und blieb stehen, um den Ausblick zu genießen. Deirdre dagegen blickte zum Himmel und prüfte den Sonnenstand.
» Es wird Zeit«, stellte sie fest.
» Ich weiß«, sagte Elizabeth seufzend. » Nur noch ein paar Augenblicke. Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
Der Wind wehte hier kräftig und wohltuend, er trocknete ihr vom Schwimmen nasses Haar und kühlte die schweißfeuchte Haut. Vor ihr öffnete sich ein atemraubender Blick auf die Bucht. Ein gewundener Pfad führte von der Anhöhe hinab bis nach Bridgetown. Von hier aus war die Stadt kaum mehr als eine breitflächige, an den Rändern dünner werdende Ansammlung verschachtelter lehmfarbener Würfel in Spielzeuggröße, mit einem mittendrin herausragenden Kirchturm und Lagerhallen entlang der Docks. Ein beweglicher Wald aus Masten wuchs aus dem Hafenbecken, Schiffe in allen Größen ankerten dort, vom maroden Seelenverkäufer dubioser Herkunft bis hin zum mächtigen Kauffahrer mit vergoldeten Heckaufbauten und aufwändig geschnitzten, bunt bemalten Galionsfiguren.
Mittlerweile war Barbados dank
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