Inseln im Wind
sich unwillkürlich, was sie dazu gebracht hatte, ihre Arbeitskraft für so lange Zeit zu verkaufen. Ob sie Hunger gelitten oder ihre Familie verloren hatte?
Meist wurden die Schuldkontrakte für sieben Jahre abgeschlossen. Viele der Arbeiter starben vorher, vor allem jene, die auf den Feldern schuften mussten. Die anderen, die das Ende ihrer Dienstzeit erlebten, durften wieder nach Hause fahren. Doch das schafften die wenigsten, denn das bisschen Handgeld, das sie von ihren Herren nach Erfüllung der Kontrakte bekamen, reichte nicht für die Überfahrt, zumal es häufig in Zucker ausbezahlt wurde. Die Frauen landeten oft in einer der Hafenspelunken, wo ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihren Körper zu verkaufen. Die Männer hingegen hatten immer noch die Möglichkeit, auf einem der Schiffe anzuheuern und ihre Passage als Matrosen abzuarbeiten. Für die Mehrzahl der Schuldknechte und -mägde war jedoch die Heimkehr keine erstrebenswerte Alternative. Eine bessere Zukunft hatten sie in der Alten Welt selten zu erwarten, weshalb viele von ihnen auf den Antillen blieben und dort ihr Auskommen suchten. Was Deirdre sich wohl für ihre Zukunft erträumt hatte?
Das Stimmengewirr in dem Gemach war leiser geworden. Die meisten Frauen waren wieder nach unten gegangen. Inzwischen wurde zum Tanz aufgespielt, Musik schallte durchs Haus. Eine fette Pflanzersgattin saß noch in einem Lehnstuhl am Fenster. Sie hatte den Kopf zurückgelegt und schnarchte vor sich hin, offensichtlich betäubt von zu viel Essen und Sherry. Zwei junge Mädchen, Töchter eines Plantagenbesitzers aus Saint Andrew, steckten kichernd die Köpfe zusammen. Zwei weitere Frauen verließen gerade, in angeregte Unterhaltung vertieft, den Raum, um sich zu den übrigen Gästen zu gesellen.
Elizabeth erhob sich von dem Schemel, auf dem sie gesessen hatte, und streckte die Glieder. Das Unterkleid klebte ihr auf der Haut. Ihr war heiß, und das Mieder war immer noch zu eng, am liebsten hätte sie es ganz ausgezogen und sich auf ihrem Bett ausgestreckt. Doch sie hatte bislang noch nicht mit den Noringhams gesprochen, die ebenfalls unter den Gästen waren, ebenso wie Annes künftiger Gatte, George Penn, ein stattlicher Tabakpflanzer von einundvierzig Jahren, der vor zwei Jahren im Nordosten der Insel Land urbar gemacht hatte. Er war ein eingefleischter Royalist und hatte, als Cromwell endgültig die Macht an sich gerissen hatte, wie so viele seiner Gesinnungsgenossen England verlassen, um in den Kolonien sein Glück zu machen.
Seine Frau war während der Überfahrt verstorben, und seit etwa einem halben Jahr machte er Anne den Hof. Die große Liebe war es nicht, wie Anne in einer stillen Stunde Elizabeth freimütig anvertraut hatte, doch sie mochte George gern, und das war in Anbetracht der dürftigen Auswahl heiratsfähiger Männer auf Barbados schon deutlich mehr, als die meisten anderen jungen Frauen sich erhoffen durften.
Elizabeth trank einen Schluck von der Limonade, doch das vorhin noch kühle Getränk war inzwischen schal und viel zu warm. Sie ließ den Becher stehen und ging nach unten.
In dem großen Saal hatte man sich zum Tanz zusammengefunden. Auf der freien Fläche war bereits ein munteres Treiben im Gange. Die Paare bildeten Reihen, bei denen die Tanzpartner einander gegenüberstanden und jeweils nach ein paar Drehungen kreuzweise untereinander wechselten. Ausgelassen schwangen die Männer die Frauen herum, und alle mühten sich redlich, bei den Schrittfolgen eine gute Figur zu machen, doch es blieb nicht aus, dass ständig Tänzer über ihre eigenen Füße oder die der anderen stolperten, zumal die meisten schon reichlich angeheitert waren. Aber alle nahmen es mit Humor, johlend kreisten die Paare umeinander, das Lachen wollte kein Ende nehmen. Inmitten der wogenden Menge sah Elizabeth Felicitys glückliches Gesicht. Sie lag in den Armen von Niklas Vandemeer, der strahlend auf sie hinabblickte, bevor er sie – mit sichtlichem Widerstreben – dem nächsten Tänzer überlassen musste. Auch Robert war unter den Tanzenden. Er hielt eines der Mädchen im Arm, die vorhin noch oben zusammen gekichert hatten. Ihr Haar flog, als er sie herumwirbelte, und Robert lachte so ausgelassen, dass es Elizabeth einen Stich gab.
Auf ihrem Weg zum Patio begegnete sie ihrem Schwiegervater, der mit zwei Pflanzern beisammenstand. Die drei Männer schmauchten Pfeife und redeten sich dabei die Köpfe heiß. Im Vorbeigehen schnappte sie auf, worum es ging: Sie
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